Was deutsches Radio mit Pippi Langstrumpf zu tun hat

Radiomanager und viele Radiomacher sind in einer Unternehmens- und Marketingstrategie besonders gut. Sie arbeiten meist nach dem PLP. Dieses PLP ist der Grund, warum man sich den Besuch einer deutschen Radiokonferenz meist sparen kann (und lieber englische besuchen sollte). Was modernes Radiomanagement mit Pippi Langstrumpf zu tun hat:

Um es gleich vorweg zu klären. Ich war nicht bei den Münchener Medientagen. Dass ich überhaupt darüber schreibe, liegt an den Artikeln, die ich heute über den VPRT (den Lobbyverband der privaten Rundfunkunternehmen) und seine Präsentation von „Smart Radio“ auf der Veranstaltung gelesen habe (eine Zusammenfassung gibt es zum Beispiel bei Radiowoche oder von der VPRT – PR – Abteilung). Diese Präsentation und Diskussion zeigte offenbar die Anwendung von PLP in Reinform.

Zum Hintergrund: Ich hatte vor ein paar Wochen das Glück, Teilnehmer eines Design – Thinking Workshops von Maik Klotz zu sein. Stark vereinfacht geht es bei Design Thinking darum, Prozesse zu entwickeln, die möglich machen, sein Produkt zu 100 % am Kundenwillen auszurichten – und darum, wie man diesen Kundenwillen abseits von kurzfristigen Hypes wirklich erfährt (nur so viel an dieser Stelle, man ermittelt den Kundenwunsch nicht durch klassische Marktforschung).

Maik Klotz schreibt seit einigen Wochen auch immer wieder über das – so nennt er es – PLP – das Pippi Langstrumpf Prinzip und seine Folgen. Klotz bezieht sich vor allem auf Pippis Lebensstrategie: „Ich mach mir die Welt, widde widde wie sie mir gefällt“. Er beschreibt damit eine typisch psychologische Strategie der Menschen, Probleme eher auszublenden und im Handeln zu ignorieren.

Zur Erinnerung:

Dieses Belügen seiner Selbst möglichst zu verhindern ist eine der wesentlichen Herausforderungen für einen Chef. Zumindest dann, wenn er wirklich „leiten und lenken“ als seine Aufgabe versteht, wenn ihm die die strategische Weiterentwicklung des Unternehmens am Herzen liegt, und der mindestens mittelfristige geschäftliche Erfolg.

Maik Klotz nennt als Beispiele für PLP und die damit verbundene unbändige Überschätzung der eigenen Position am Markt Personen wie Steve Balmer, der als Microsoft – Chef jahrelang öffentlich und überheblich Apples Innovationen ignorierte. Nokia ist ein ähnliches Beispiel. Und ich nenne auch die gesamte Musikindustrie von 1995 bis mindestens 2007 (bis zum Release von ITunes) als Verfechter des PLP (durch das beharrliche Bestehen auf alte Geschäftsmodelle und die Blockierung jeglicher Innovationen). Alle haben ihre Geschäftsgrundlagen mindestens fast zerstört.

Die pseudowissenschaftliche Argumentation gegen Veränderung

Radio in Deutschland arbeitet seit Jahren ebenfalls an der Perfektionierung von PLP. Zu hören ist das an der dauernden Wiederholung der gleichen unvollständigen Annahme: „Radio hat ja auch die Einführung des Fernsehens überlebt“, „Der Song Video killed the radio star wurde ja auch nicht Wahrheit“, oder – wenn jemand wenigstens einen kleinen medienwissenschaftlichen Hintergrund hat: „Es gilt das Rieplsche Gesetz„.

Egal, wie man es ausdrückt, es zeugt von Unwissenheit. Zur Erklärung: Riepl – ein Journalist – verfasste 1913 eine These, wonach Medien, wenn sie eine wichtige kulturelle Funktion übernehmen, grundsätzlich nicht verschwinden würden. Die neuzeitliche Wirklichkeit hat diese These längst widerlegt (oder nutzt irgendjemand noch etwas wie z.B. Cityruf oder Telgramme?). Allein aus diesem Grunde ist die ständige Zitierung von Riepl falsch.

Außerdem – und das ist der entscheidende Faktor – sagt Riepls These: Die Medien überleben nur, wenn es ihnen gelingt, sich den neuen Aufgaben, die durch veränderte kulturelle oder wirtschaftliche Rahmenbedingungen entstehen – auch nachhaltig anzupassen. Dem Medium Radio gelang das in der Vergangenheit zweimal. Als das Fernsehen in den 1960ern Leitmedium wurde, und als sich die ökonomischen Rahmenbedingungen durch unternehmerisch arbeitende Sender in den 1980ern änderten.

Der schon fast vollzogene Kulturwandel durch die Digitalisierung, der die Erwartungen der meisten Hörer bereits grundlegend verändert hat und die Erwartungen der Werbewirtschaft in den nächsten Jahren grundlegend verändern wird ist bei den Radiomanagern immer noch nicht angekommen. Sie machen sich die Welt widde widde wie sie ihnen gefällt.

Zahlen zeigen Richtungen – wenn man sie auch richtig interpretiert

Als Grundlage zur Nicht-Entscheidung wird immer wieder gern die Media Analyse genutzt – eine Untersuchungsform, die nie dazu zu da war, Bedeutungen oder Penetrationen des Mediums Hörfunk an sich zu messen, sondern lediglich zur Verhältnissbildung der Marktanteile von Programmen untereinander dient (um dann eine Basis für die Festlegung von Werbepreisen zu haben).

Doch selbst, wenn man diese Grundeigenschaft und noch einige methodische Schwächen der Media Analyse vergisst – selbst wenn man die Zahlen für die Wahrheit hält, sagen sie, dass das Radio zusehends an Bedeutung verliert. Schön auf den ersten Blick: Im Durchschnitt 180 Minuten oder so Hördauer pro Tag. Erreicht und übertroffen wird der Durchschnitt bei den ländlichen Ü50 Hörern. Sieht man sich die Zahlen der (Groß)-Städtischen U30 Hörer an, sinkt die Durchschnittshördauer plötzlich um bis zu 50 %.

Und das ist keine Frage der Soziologie. Vor zehn Jahren war das noch die Hoffnung der Radiomanager. Damals zeigte die Media Analyse schon bei den 14 bis 19jährigen einen massiven Einbruch in der Hördauer. Damals dachten die Radiomanager noch: das wächst sich raus. Sind die erstmal im Job und haben Familie, werden sie schon wieder Radio hören. Die Realität wurde eine andere. Die, die damals schon die kulturelle Konditionierung zum Radiohören verpasst haben, schalten auch heute das Radio nicht an.

Handeln abseits des Hypes, aber HANDELN!

Man könnte auf den ersten Blick meinen, die Radiomanager nutzen eine Strategie, die auch Angela Merkel zugeschrieben wird – die oft erfolgreiche und eigentlich auch sinnvolle Strategie mit Entscheidungen so lange zu warten, bis man einen möglichst guten Überblick über den Entscheidungsrahmen und die Möglichkeiten erlangt hat um dann zu handeln, wenn der ideale (oder auch letzt mögliche) Moment erreicht ist.

Newsweek titelt: Warten auf Angela Merkel

Nicht nur Angela Merkel scheint so zu handeln, auch Steve Jobs wird das posthum nachgesagt. Diese Strategie beinhaltet aber als wesentlichen Teil, aufmerksam zu sein, zu lesen, zu hören, zu spüren, Scheuklappen abzulegen – und sich bewusst wie unterbewusst auf die Entscheidung vorzubereiten.

Vieles ist schon da. Die Medienwissenschaft könnte einen Entscheidungsrahmen bieten (z.B. Therorie der sich auflösenden Dispositive), die von Startups weltweit entwickelten technischen Möglichkeiten könnten für die Radiobranche transformiert werden, und auch die Prozesse zum Businessmodelling sind da und hundertfach erfolgreich getestet.

Gelingt es den Radiomachern in Deutschland nicht endlich, neue Geschäftsmodelle und Monetarisierungsformen zu entwickeln und am Markt zu festigen, dann wage ich jetzt mal eine steile These: Es gibt einen kritischen Punkt, und dann wird alles ganz schnell gehen. Plötzlich, innerhalb weniger Monate wird das Werbevolumen massiv einbrechen und die meisten klassisch durch Radiowerbung finanzierten Programme werden schließen. Dieser kritische Punkt ist dann erreicht, wenn die, die heute schon ganz persönlich keine Sekunde an Gedanken mehr an das Medium Radio verschwenden die Entscheider über die Werbebudgets sein werden – und das ist keine Frage von dreißig sondern eher von fünf bis zehn Jahren.

Das „Video killed the radio star“ auch nicht Wahrheit wurde hilft dem Radio jedenfalls nicht ein Stück.

Video killed the radio star by „The Buggles“, first video ever aired on MTV.

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