Social Media, Suchmaschinen und Ethik – Digitalphilosoph Jaron Lanier mahnt neue Form der Kommunikation an

Jaron Lanier gehört zu den digitalen Philosophen, deren Meinung Gewicht hat. Um so mehr wird es die Medienunternehmen freuen, was Jaron in seiner Eröffnungskeynote zur CeBIT 2018 zum Thema Social Media und Suchmaschinen sagte.

Die CeBIT – Macher haben schon seit Jahren immer wieder mal ein ganz glückliches Händchen bei der Verpflichtung der richtigen Keynote-Speaker während der Side-Konferenzen.

Bei der CeBIT 2014 zum Beispiel philosophierte Apple Co-Founder Steve Wozniak von seinen Visionen, wie Computer Bildung verbessern können. Jetzt, vier Jahre später, arbeitet sein Ex-Unternehmen (an dem Woz ja auch immer noch Anteile hält) an der Umsetzung dieser Visionen.

Steve Wozniak spricht auf der CeBIT 2014
Steve Wozniak spricht auf der CeBIT 2014 – zum Video auf das Bild klicken. Foto: Screenshot

Beim Pre-Opening der CebIT 2018 – dem sogenannten Take-Off Monday – redete nun eben Jaron Lanier den digitalen (Medien) – Machern und Unternehmenskommunikatoren ins Gewissen.

Ganz in Steve Jobs – Manier betrat Jaron die Bühne – Barfuß in Sandalen. Mit seinen bauchlangen Rastalocken wirkt er wie der schräge Kontrast zu den immer noch dominierenden (aber auf dem Rückzug befindlichen) Business Casual – Trägern bei der CeBIT.

Jaron Lanier
Jaron Lanier während seiner Keynote bei der CeBIT 2018 über Social Media und Suchmaschinen

Steve Jobs, der wie auch Jaron selbst seine Karriere bei der legendären Computerspielfirma Atari begann, war dann auch schon wichtiges Beispiel der zentralen These der Keynote: „Wir Amerikaner lieben zwei Dinge. Alles, was umsonst ist, und erfolgreiche Entrepreneure wie Steve Jobs. Fügt man beides zusammen, gibt es nur eine Konsequenz: das, was wir jetzt in der digitalen Welt als dominantes Geschäftsmodell haben. Und die Konsequenz draus kann fürchterlich werden“.

Jaron meint damit die vermeintliche Umsonst-Kultur, die man als Nutzer von den Technologiefirmen für viele eigentlich negative Dinge erkauft. Das Geschäftsmodell der Social Networks oder der Suchmaschinen sei das Erzeugen von Abhängigkeit. „Constant adjustment of behavior“ nennt Jaron das, also die dauernde Manipulation des Verhaltens.

So habe sich gezeigt, dass Social Media Inhalte voller Ärger und Paranoia die Nutzungsdauer erhöhen. Eine Erkenntnis, die nicht neu ist. Aber kaum jemand spricht sie so laut aus wie Jaron Lanier.

Das gleiche gilt seiner Meinung nach auch für Suchmaschinen. Jaron brachte ein Beispiel aus seiner Familie.

Seine Frau sei vor einigen Jahren an Krebs erkrankt – und inzwischen glücklicherweise wieder geheilt. Auf der Suche nach Informationen über die Krankheit habe er damals via Google vor allem eins gefunden: Unsicherheit.

Verschwörungstheoretischer Unsinn werde auf einer Ebene mit sinnvollen Inhalten angezeigt. Das mache es unmöglich, die Inhalte selbst verlässlich zu bewerten. Es nutze nur dem Suchmaschinenbetreiber. Denn: je unsicherer der Nutzer sei, desto länger suche er – und desto mehr Werbung könne man ihm zeigen.

Jaron betonte mehrfach: nicht die Werbung an sich sei das Problem. Im Gegenteil: er halte Werbung für extrem nützlich. Aber nur dann, wenn der Nutzer selbst und frei entscheide, ob er sie wahrnehmen möchte oder nicht.

Social Media ethisch nutzen

Alle Unternehmen, die soziale Medien nutzen, laufen also – wenn man Jarons Keynote weiter denkt – Gefahr, selbst zu den Verhaltensmanipulatoren zu gehören. Oder um es genauer zu formulieren: alle Unternehmen, die Social Media so nutzen, dass Messgrößen wie hohes „engagement“ (oder, wie Jaron es nennt, hohe „addiction“) die Zielgrößen sind, handeln unethisch.

Für die Unternehmenskommunikation bedeutet das: verfallt nicht dem Trend, für maximales Engagement maximale Polarisierung posten. Glücklicherweise ist mit Ausnahme einiger selbst etablierter NGOs den meisten Unternehmen klar, dass man mit polarisierenden „Ärger und Paranoia – Inhalten“ (um Jarons Formulierung zu übernehmen) sein Markenimage gefährdet.  Ein Unternehmen, das Social Media für echte eye to eye Kundenkommunikation nutzt, ist auf der sicheren Seite.

In manchen Medienhäusern läuft es anders. Ich persönlich hatte diese Diskussion vor ein paar Wochen mit dem Geschäftsführer einer regionalen Tageszeitung: Seine Redaktion zum Beispiel postet auf Facebook ständig negative Meldungen über Flüchtlinge.

Warum?

Nein,natürlich nicht, weil alle Flüchtlinge tatsächlich kriminell sind. Sind sie nicht. Nein, natürlich auch nicht, weil die Mehrheit kriminell ist. Nichtmal, weil Flüchtlingskriminalität häufiger in der Region ist als die der Ureinwohner. Auch das ist nicht der Fall.

Es geht nur um eins: „Weil die Negativmeldungen massenhaft geteilt werden“ war die Antwort des Geschäftsführers. Dass das die Wirklichkeit so massiv verfälscht, spielte keine Rolle. „Die Zahlen zählen“, blieb sein Standpunkt. Der unwiederbringliche Imageschaden für den Journalismus allgemein und seine Zeitung im Speziellen sah er nicht.

Zurück zu Jaron Lanier und seiner Problemanalyse bei der CeBIT. Das Geschäftsmodell der meisten sozialen Netzwerke und Suchmaschinenbetreiber ist Jarons Meinung nach das Problem. Würde man es ändern, könnte das Problem verschwinden.

Es sollte kosten

Anders ausgedrückt: die Umsonst-Kultur sollte verschwinden. Entsteht eine Geschäftsbeziehung zwischen Plattformbetreiber oder Suchmaschine und den Nutzern direkt – in dem der Nutzer etwas für die Nutzung der Plattformen bezahlt – müssten die Plattformen  das Nutzungserlebnis ihrer Produkte den wirklichen Kundenbedürfnissen anpassen. Welche Bedürfnisse das auch immer sind, aber das bisherige „abhängig-machen“ in „angstbesetzten, paranoiden Kontexten“ gehört sicher nicht dazu.

Viele Medienunternehmen kämpfen schon seit langem für diesen Wandel – weg von der Umsonst-Kultur hin zu eine Bezahl-Selbstverständlichkeit. Zumindest tun sie das an der Oberfläche. Ob sie sich selbst wirklich anders verhalten – also auf unnötige Dramatisierung und Polarisierung von Inhalten verzichtet – ist zumindest bei einigen Zeitungen und privaten TV Sendern zu bezweifeln. Und das nicht nur auf Social Media Kanälen.

Ändert sich das nicht, könnte das eintreten, an das Jaron zu Beginn seiner Keynote erinnerte. Jede umwälzende Medienrevolution der vergangenen 600 Jahre führte die Menschheit in schwere Krisen, denn Mächtige nutzten die neuen Medien immer, um Macht über die Masse auszuüben.

Auf Gutenberg folgte der 30jährige Krieg, auf die Verbreitung von Radio der 2. Weltkrieg. Was auf Social Media folgt, können wir noch beeinflussen.

Mehr Infos: Jaron Lanier bei seinem TED Talk 2018.