Was man vom britischen Radio lernen sollte

Die nextrad.io Konferenz in London hat sich im zweiten Jahr schon zur zweit wichtigsten Radiokonferenz in Großbritannien entwickelt. Die Bilanz: das britische Radio ist in seiner Entwicklung dem deutschen Radio in vielen Dingen um Jahre voraus. Die Sessions der 2013er – Ausgabe am 9. September sollten deshalb auch zum Vorbild für die Weiterentwicklung des deutschen Radios werden können. Ein Aufgabenheft:

Zuerst muss man allerdings auf ein paar Unterschiede zwischen dem deutschen und dem britischen Radiomarkt aufmerksam machen. In Großbritannien steht auf der einen Seite ein starker öffentlich-rechtlich finanzierter Broadcaster: die BBC. Sie wird von den Briten mit einer Haushaltsabgabe von derzeit rund 171 €  (145 Pfund) pro Jahr finanziert. Die BBC sendet werbefrei. Den Privatradiomarkt teilen sich nach diversen Zukäufen in den vergangenen Jahren im wesentlichen zwei Unternehmen, die Global Radio Group und die Bauer Media Group – eine Tochter des Hamburger Bauer Verlages. BBC und Private haben in etwa gleich viele Hörer.

Auch in Deutschland teilen sich öffentlich-rechtliches Radio und Privatradio den Markt zu etwa gleichen Teilen. Dabei ist der Privatradiomarkt deutlich zersplitterter. Eine Konzentration auf zwei Anbieter wie in Großbritannien wäre in Deutschland wegen der Regulierung (Verhinderung einer Meinungsmacht) wohl auch nicht realisierbar. Eigentlich ist das ein Vorteil für die Vielfalt, aber gleichzeitig ist es auch ein großes Hemmnis der Weiterentwicklung des Mediums. Dazu später mehr.

Digitalradio ist in Großbritannien sehr viel populärer als in Deutschland. Etwa ein drittel der Hörer nutzt digitale Distributionskanäle, und hierbei vor allem DAB. Das schafft Freiräume auch für Programmexperimente. Frequenzen sind einfach nicht mehr knapp wie noch zu alten Ukw – Zeiten.

Nextradio 2013 - LogoEinen Unterschied gibt es auch bei der Quotenerhebung. In Deutschland wird eine massenhafte telefonische Erinnerungsabfrage betrieben. Dem zufällig ausgewählten Angerufenen wird eine Liste von Programmen vorgegeben, und er soll dann angeben, welches Programm er wann am Vortag gehört hat. Die Quotenmessung in Großbritannien erinnert eher an die deutsche Fernsehquotenmessung. Repräsentative Testhaushalte führen ein Tagebuch, in dem sie festhalten, wann sie welches Programm gehört haben. Der Distributionskanal ist dabei unwichtig – alle werden gleich behandelt. Die Briten fragen 50 Wochen im Jahr diese Zahlen ab, in Deutschland gibt es vier Wellen, in denen die Interviews geführt werden.

Das hat zur Folge, dass die Briten keine Major Promotions im deutschen Sinne kennen. In Deutschland konzentrieren die Radiosender ihre Werbemaßnahmen (mit Plakaten und On Air Gewinnspielen etc.) auf die Zeit der Quotenmessung. Nicht so in Großbritannien. Die Dauerberieselung mit geheimnisvollen Geräuschen und Co. bleibt dem Hörer dort erspart.

Aus den Sessions der nextrad.io – Konferenz mit meist britischer Sicht kann man für den deutschen Radiomacher viele Ideen ableiten. So könnte das Medium meiner Meinung nach wieder vorankommen:

1. Misstraut den Zahlen

Auch in Großbritannien diskutiert die Branche, ob das Radio aussterben würde. Wie in Deutschland zücken britische Radiomanager in diesen Fällen gern die Quoten. Hördauer: steigend … Hörerzahl: mindestens konstant. Im Gegensatz zu Deutschland klopft sich in Großbritannien dafür aber niemand auf die Schulter. Im Gegenteil, man hinterfragt diese Zahlen.

John Shorter von Hallet Arendt – ein Dienstleistungsunternehmen, das die Quoten im Auftrag der Radiosender aufarbeitet und analysiert – lieferte bei nextrad.io den spannenden Beweis, das hinter der steigenden Hördauer der Gesamtheit gleichzeitig auch ein massiver Verlust der Hördauer bei wichtigen Einzelzielgruppen steckt. Gut ausgebildete Menschen mit höherem Einkommen hören in Großbritannien deutlich weniger Radio als der Durchschnitt. Bei jüngeren Zielgruppen ist das ähnlich. Statt 180 Minuten Radio am Tag hören diese Keygroups – immerhin 50 % der Briten – nur noch maximal 300 Minuten in der Woche Radio.

Auch die Zahl der Wechselhörer steigt rapide. Das ein Hörer nur einem Programm treu bleibt, kommt in Großbritannien immer seltener vor. Am Ende des Vortrags von John Shorter gab es dann auch noch den europäischen Vergleich. In welchen Ländern ist der Unterschied zwischen der Durchschnittshördauer aller und der Durchschnittshördauer des jungen Publikums bis 29 am größten? Ratet…

Richtig, in Deutschland. Aber das nur am Rande. Die Analyse von Shorter stützte sich auf die offiziellen Quoten. Und um das britische Misstrauen gegenüber den Zahlen noch zu verstärken, holten die nextrad.io – Macher gleich noch Peter Niegel vom Dänischen öffentlich-rechtlichen Danmarks Radio auf die Bühne. Er ist Researcher, und konnte den massiven Unterschied zwischen der tatsächlichen Mediennutzung und dem, was die Menschen aus der Erinnerung angeben in Dänemark handfest belegen. Niemand hört dort so lange Radio, wie er aus der Erinnerung heraus meint. Seine knappe Bilanz zu Erinnerungsabfragen: „Listeners are lying“.

In Großbritannien setzt sich die Branche ernsthaft mit dem ganzen Zahlenbild des Radiomarktes auseinander – und schließt daraus auf den Zwang zu Innovationen. In Deutschland haben die Radiomanager zumindest öffentlich noch nicht einmal begriffen, dass ihrem Medium harte Zeiten bevorstehen, erst recht ohne Innovationen.

2. Arbeitet zusammen

In Deutschland ist seit Jahren üblich, dass sich die Mitbewerber im Radiomarkt gegenseitig Knüppel zwischen die Beine werfen. Die Privatsender untereinander genauso wie die Privaten auf der einen Seite und die Öffentlich-Rechtlichen auf der anderen Seite. Das Ergebnis: Man beschäftigt sich selbst – und viele Juristen – mit Problemen, die den Kunden nicht interessieren und schon gar nicht weiterbringen.

uk radio playerIn Großbritannien reden nur drei Mitbewerber miteinander: die BBC und die beiden großen Radiokonzerne. Das macht Zusammenarbeit vermutlich sehr viel einfacher als in Deutschland. Ein Beispiel ist der radioplayer.uk, ein Gemeinschaftsunternehmen der wichtigsten Privatsender und der BBC. Das Ziel: Radio hören auch auf digitalen Vertriebswegen einfach und gut für den Kunden zu machen.

Auf der nextrad.io hatte der CEO Michael Hill die neuen Versionen seines radioplayers für das IPad und den Desktop als Demo dabei: tolle User Experience mit eingebauter Monetarisierungsmöglichkeit für die Sender.

Erst diese  Vereinheitlichung (nahezu alle Sender in Großbritannien nutzen den radioplayer und können ihn dabei individuell anreichern) macht den digitalen Radiokonsum für den Hörer einfach und ermöglicht gleichzeitig auch eine vernünftige Vermarktung dieses neuen Vertriebswegs für Werbung. Eine typische win-win – Situation für alle Beteiligten. In Deutschland wäre eine solche Kooperation derzeit noch undenkbar.

3. Mehr echte Daten nutzen

In der digitalen Startup-Welt ist die Nutzung aller über das Kundenverhalten vorhandenen Daten inzwischen fast eine Selbstverständlichkeit. Diese Daten sollte man auch in der Radiobranche nutzen, um die Zentrierung auf den Hörer noch viel besser hinzubekommen.

Erkannt hat das in Großbritannien zum Beispiel das Radio Advertising Bureau – Vermarkter von Radiowerbung. Das gesamte Portfolio der zur Verfügung stehenden Daten sollte zur Analyse des Hörers genutzt werden. Nicht nur die Quoten und deren Details, sondern auch die Datenspuren jedes Facebookfreundes oder Twitter-Followers. Daraus entsteht ein Datenbild, mit dem Werbekunden sehr viel besser überzeugt werden können, in Radiowerbung von spezifischen Stationen zu investieren.

4. Mehr Startup-Denken

Im britischen Radio sieht man die Zukunft der Branche in der Innovation. Die Strategien, wie man sein Unternehmen so aufstellt, dass Innovation entstehen können, sind in vielen Sessions auf der nextrad.io zur Sprache gekommen. Aus meiner Sicht kann man es mit ein paar Worten zusammenfassen: macht es wie ein gutes, junges digitales Startup.

Dazu gehört ein ganzes Portfolio an Maßnahmen: flache Hierarchien, die Chance des Scheiterns, Freiraum für Experimente, Offene Kritikkultur, 360 Grad Feedbacks, Ressourcenschonung, Teamdiversität … die Liste ist sehr lang – und aus Sicht eines typischen deutschen Radiomanagers ist diese Liste auch so etwas wie eine Ansammlung von Fremdwörtern. Zumindest habe ich in meiner 15jährigen Radiokarriere nur wenige Senderchefs kennengelernt, die mit moderner Unternehmensführung etwas anfangen konnten. Es gibt sie, ja. Man muss sie aber suchen.

Man kann das Problem in Deutschland auf zwei Arten lösen. Chefs austauschen, oder vernünftig fortbilden. Und das ist die direkte Überleitung zum letzten Punkt:

5. Bessere Konferenzen machen

Ich habe das zu Beginn des Artikels schon einmal angedeutet. Deutsche Medienkonferenzen bestehen bis auf wenige Ausnahmen daraus, dass sich Manager gegenseitig auf die Schulter klopfen, anstehende Probleme verneinen oder wegdiskutieren und betonen, für wie gut sie ihre Arbeit doch halten. Niemand braucht das auf einer Konferenz. Wie erfrischend anders war da nextrad.io.

Nextradio Conference London 2013

Manager kamen nur dann auf die Bühne, wenn sie wirklich etwas zu sagen hatten. Wie zum Beispiel Ric Blaxill, britische Radiolegende und neuer Content Director von Planet Rock, einem der vielen frischen Einkäufe von Bauer auf dem britischen Radiomarkt. Oder Billy Anderson, CEO des neuen landesweiten Programms TeamRock. Beide erklärten ihre Geschäftsmodelle, in denen Radio nur einer unter mehreren Kanälen zur Vermarktung von Content ist.

Dazu kommt noch die Art der Präsentation. Bei Medienkonferenzen in Deutschland steht meist jemand vorn, hinter einem Rednerpult und spult einige Powerpoint – Folien mit vielen Zahlen darauf herunter. Ein Beispiel von nextrad.io: Steve Martin, bei der BBC für die Vermarktung des World Service zuständig (und damit schwerpunktmäßig in Afrika beschäftigt). Er versprach am Anfang seiner Session: „I’ll bring a Singer on this stage“ … und schob dann eine Nähmaschine auf die Bühne, mit Schneiderin – denn in Afrika machen manche Radiosender keine T-Shirts für seine Hörer, sondern Capes. Und eins davon wurde Live auf der Bühne geschneidert.

Ich will mit diesem Beispiel sagen: Radio ist Show und Unterhaltung. Aber warum beherrschen viele deutsche Radiomanager ganz persönlich weder Show noch Unterhaltung?

Erst diese Showaspekte bei einer Konferenz schaffen echte Aufmerksamkeit und Aufnahmebereitschaft beim Publikum. So erreichen dann auch Vorträge über Redaktionsführung, Teambuilding oder digitale Strategien  wirklich den Geist und das Herz der Konferenzteilnehmen. Und die Showelemente liefern Gesprächsstoff für die Pausen.

So könnten Konferenzen in Zukunft auch in Deutschland Brutstätten für Innovationen werden – wie es nextrad.io für die britische Radioszene inzwischen ist.

 

 

2 Gedanken zu „Was man vom britischen Radio lernen sollte“

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