Kaum eine Entwicklung ist so sicher vorhergesagt worden wie die Verbreitung von Augmented Reality (AR). Jetzt steht der nächste Evolutionsschritt bevor. Dadurch wird AR zum niedrigschwelligen Massenmarkt. Zumindest für die, die ab sofort investieren. Die beste Nachricht dabei: es ist nicht teuer.
Augmented Reality ist nicht neu. Es gab schon lange Versuche, mobile AR – also die ortsunabhängige Nutzung von Augmented Reality – zu etablieren. Für die ersten iPhone-Modelle gab es AR-Anwendungen. Fußgängernavigation ist ein Beispiel.
Durchgesetzt hat sich das damals nicht. Die Leistung der Smartphones war zu gering, die Produktion von AR – Anwendungen war unendlich aufwendig. Und schlussendlich war es den meisten Nutzern wohl zu peinlich, mit Blick auf das Smnartphone-Display durch die Gegend zu laufen.
Geändert hat sich das erst durch Pokemon Go:
… und der Pokemon Go – Nachfolger, der die Welt von Harry Potter zum Thema haben wird und Ende 2018 erscheinen soll, wird sich der Hype vermutlich noch vervielfachen.
Unternehmen nutzen Augmented Reality intensiv
Vorreiter in Fragen der Augmented Reality als Mittel der Kommunikation sind die Unternehmen. Die vermutlich erfolgreichste AR Anwendung (abseits der Games) ist die einer weltweiten Möbelhauskette, die das testweise Platzieren neuer Möbel in der eigenen Wohnung erlaubt. Der Produktkatalog wird so ganz neu gedacht.
Auch in der internen Unternehmenskommunikation kann AR seine großen Stärken ausspielen, wenn es zum Beispiel um Wissensvermittlung geht. Der Berliner AR – Vordenker Florian Radke hat das kürzlich ich einem TEDx-Talk zusammengefasst:
Am schwersten mit dem Wandel in die Welt der Augmented Reality tun sich – erwartungsgemäß – die klassischen Medien und Medienmacher. Dafür gibt es bis heute auch einen einfachen Grund. Gegenwärtig muss der Nutzer eine App installieren, wenn er Augmented Reality nutzen will.
Pflicht zur App ist größtes Hindernis
Dass die Vertriebsart „App“ für einzelne journalistische Geschichten eher schlecht funktioniert, zeigt die Erfahrung der vergangenen Jahre. Nutzer sind viel zu selten bereit, zuerst irgendetwas zu installieren (oder ein Abo aufwendig und langfristig bindend abzuschließen), wenn sie eigentlich im schnellen Kontext der Nutzung mobiler digitaler Medien etwas konsumieren wollen. Deshalb sind alle journalistischen AR Veröffentlichungen eher Experimente.
Ein Beispiel ist das Projekt The Enemy des Journalisten Karim Ben Khelifa. Es lohnt sich unbedingt, diese App zu installieren.
Sie versetzt den Rezipienten in eine extrem ungewohnte Situation. In Augmented Reality stehen sich zwei Feinde aus einem Kriegsgebiet gegenüber. Im eigenen Wohnzimmer. Oder in der Küche. Oder wo auch immer man die App nutzt. Je nachdem, in welche Richtung man das Smartphone dreht, erzählt der jeweilige Protagonist davon, wieso derjenige, der am andere Ende des Zimmers steht, sein Feind ist.
Als Rezipient steht man im wahrsten Sinne des Wortes zwischen den Stühlen. Kein Journalist erzählt mehr davon, welche Seite die „gute Seite“ ist. Vielmehr zieht man seine eigenen Schlüsse.
Es muss nicht immer so aufwendig sein
Allein die Liste der Sponsoren der App The Enemy lässt jeden Geschäftsführer eines Medienunternehmens den kalten Schauer über den Rücken laufen. Die Produktion war extrem aufwendig und teuer. Zum Beispiel das Verfahren, das echte Menschen zu nahezu echten Avataren in der Augmented Reality macht, ist noch sehr teuer und mehr im Experimentierstadium als in Produktivitätsstadium.
Auf der anderen Seite habe ich selbst beim PlacesVR Hackathon in Gelsenkirchen vor ein paar Wochen erlebt, wie man auch ohne große Vorkenntnis binnen 24 Stunden eine laufende AR – Anwendung auf das Smartphone bringen kann (und damit auch den Publikumspreis gewinnen kann … 🙂 … danke dafür).
Die Technologie ist frei verfügbar. Beispielsweise: die ursprünglich als 3D Spielentwicklungsplattformen entworfenen Softwarpakete Unreal und Unity kosten erst dann etwas, wenn man richtig Geld mit der Anwendung verdient. Außerdem bieten beide Oberflächen Plugins, mit denen man aus dem jeweiligen 3D Projekt mit wenigen Clicks eine lauffähige App für Android oder iOS ausgeben kann.
Ich kann aus eigener Erfahrung sagen: zur Nutzung dieser Software braucht man vor allem grafisches Verständnis und ein Gefühl für Räume. Das sind Kompetenzen, die auch heute bereits in Medienhäusern zumindest teilweise vorhanden sein sollten. Programmieren ist bei der Erstellung einer AR – App zunächst einmal Nebensache.
Der nächste Entwicklungsschritt macht Augmented Reality auch für Massenmedien interessant
Die Erstellung von Augmented Reality ist also keine Rocket Science mehr, sondern vor allem eine Aufgabe für kreativ denkende Grafiker. Die Distribution wird in den nächsten Monaten ebenso niedrigschwellig.
Das W3-Consortium – also die Organisation, die die technischen Standards für das World Wide Web verhandelt und festlegt – steht kurz vor der Verabschiedung des WebXR Standards. Damit kann Augmented Reality in zukünftigen Browserversionen auf allen Geräten direkt angezeigt werden (genauso wie auch Virtual Reality und Mixed Reality, die ebenso mit den oben genannten Entwicklungsplattformen erstellt werden können).
Erste Testversionen sind inzwischen auch verfügbar:
Der Rezipient muss keine App mehr installieren. Das Wechseln der Erzähloberfläche fällt weg. Nicht nur crossmediale Geschichten bekommen dann eine neue Dimension. Auch der normale Webtext mit Fotos kann um die neue Ebene einer digitalen Realität erweitert werden.
Wie erzählt man journalistisch mit Augmented Reality?
Die Fragen nach technischem Know-How (jetzt aufbauen, denn es ist vergleichsweise günstig und in vielen Kontexten nutzbar) und Distributionskanälen (bald so einfach wie ein Webtext) sind also beantwortet. Bleibt die Frage nach dem „was?“
Das Medium Augmented Reality ist so neu, dass es darauf noch keine Antwort gibt. Außer, dass den offen denkenden Redaktionen und Unternehmen wieder eine spannende Zeit der Experimente bevorsteht.
Aus Sicht der Medienwissenschaft gibt es zumindest Hinweise darauf, dass die bisher übliche räumliche Distanz von Realität und Erzählung aufgeweicht wird. Man holt sich auf der einen Seite die Protagonisten oder Gegenstände in die Nutzungsumgebung der Geschichte – wie im oben erwähnten Beispiel „The Enemy“.
Auf der anderen Seite kann die Geschichte aber auch an der Orten der Handlung selbst noch einmal stattfinden. Das ist die große Chance für den Lokaljournalismus mit Augmented Reality.
Ein Beispiel: Übliches Aufregerthema im Lokaljournalismus ist die Stadtentwicklung. Stellen Sie sich vor, man kann als Leser der Lokalzeitung mit seinem Smartphone an einen Platz gehen, der neu bebaut werden soll, und sieht dann auf der Website der Zeitung in Augmented Reality, wie der Platz in Zukunft aussehen wird. Es gibt noch sehr viel mehr Ideen, wie AR im Journalismus genutzt werden kann – bis hin zu ethisch fragwürdigen Nutzungen rund um Verbrechen oder Unfälle.
Die Investition in die Zukunft der Medien ist also günstig und sinnvoll. Die Frage ist nur, ob die Medienhäuser abseits der Leitmedien in den USA und UK die Weitsichtigkeit besitzen, entsprechend zu investieren. Die Vergangenheit deutscher Medienhäuser macht da leider wenig Hoffnung.