Ein Moderator – Sieben verschiedene Musikprogramme: Absolute Radio macht den Schritt zum personalisierten Radio

Es ist eine der wichtigsten Innovation für das Radio.  Die Londoner Station Absolute Radio geht den ersten Schritt zur Personalisierung des Programms. Was so genial an der Idee ist, und warum der Deutsche Radiohörer auch auf längere Sicht nichts von dieser Idee haben wird – obwohl das Geld für diese Entwicklung aus Hamburg kommt:

Schon seit 2008 ist Absolute Radio mehr als ein Radiosender. In Wahrheit sind es sieben Radiosender in klassischer Sichtweise. Das Programm wird siebenfach produziert mit jeweils unterschiedlichem Musikprogramm. Hört man Absolute Radio in London über DAB oder in Großbritannien per Internet kann man sich für das gemischte Musikprogramm entscheiden, für eine Dekade zwischen den 60s und 00s, oder für Classic Rock.

Die unterschiedlichen Musikchannels von Absolute Radio im Webplayer.
Die unterschiedlichen Musikchannels von Absolute Radio im Webplayer.

Zum Problem wurde das ganze während der Radio Primetime am Morgen. Die starke Moderatorenpersönlichkeit Christian O’Connell produzierte seine Breakfast-Show nur auf dem Kanal Absolute Radio und wurde unverändert auf den anderen Kanälen übernommen. Der typische Radiokompromiss. So musste ein Liebhaber der 60er Jahre Musik statt der Beatles eben auch mal Katy Perry ertragen oder der Fan von Bryan Adams 80er Jahre Balladen die wilde 90er Musik von Snap.

Christian O'Connell, der Moderator der BReakfast Show auf Absolute Radio
Christian O’Connell, der Moderator der Breakfast Show auf Absolute Radio

Inzwischen ist es anders. Christian O’Connell sendet immer noch Live auf allen Kanälen. Zwischen seinen Moderation wird jedoch individuelle Musik ausgespielt. Jeder Hörer bekommt auf seinem Kanal seine Lieblingsmusik und Christian O’Connell. So etwas war bislang undenkbar.

Die geniale Lösung von Absolute Radio

Das Problem lag in der Musikplanung. Man muss schließlich dafür sorgen, dass die Musik auf allen Kanälen ganz genau gleich lang ist. Um das Niveau des britischen Radios zu halten muß Absolute Radio gleichzeitig auf technische (typisch deutsche) Tricks wie Pitchen, Schneiden oder Faden verzichten. Ein Song wie „Living in a Box“ auf dem 80er Jahre Kanal hat nunmal ein definiertes Ende (in der Radiosprache Cold End genannt), und jeder Radiosender, der dieses Ende aus Längengründen wegkürzt, wäre auf ewig beim 80er Jahre Fan durchfallen.

Also hat Absolute Radio die Erweiterung der Standard-Musikplanungssoftware Selector in Auftrag gegeben. Die speziell programmierte Software schafft es nun, ein Musikprogramm zusammenzustellen, das nicht nur auf allen Kanälen gleich lang ist. Der Moderator kann außerdem einzelne geplante Titel überspringen (das kommt im Live-Radiobetrieb ständig vor) ohne die zeitliche Synchronität durcheinanderzubringen. James Cridland beschreibt das Verfahren in seinem Blog noch etwas genauer.

Es funktioniert – und fasziniert

Natürlich ist die Auswahl von sieben unterschiedlichen Musikprogrammen passend zur moderierten Show noch keine echte Personalisierung. Aber die Kompromisse werden weniger. Wer Rolling Stones mag, muss im normalen Radio trotzdem auch David Guetta hören.  Das Programm von Absolute Radio jedoch ist nun viel dichter dran an den Wünschen des einzelnen Hörers.

In Deutschland kann man sich das Ergebnis jeden Wochentag zwischen 5 und 9 Uhr deutscher Zeit mit Hilfe eines kleinen Browser-Plugins wie Zenmate anhören. Ich habe es ausprobiert. Das Team von Absolute Radio macht es wirklich gut. Man hört keinerlei Brüche im Musikprogramm oder in den Übergängen zwischen Musik und Moderation.

Deutsches Radio bleibt beim Linearen

Absolute Radio gilt in Großbritannien schon seit einigen Jahren als Innovationstreiber. Seit Anfang 2014 gehört der Sender nun zu Bauer Media UK, einem Ableger des Hamburger Bauer Verlages. Obwohl das Geld für diese Innovation letztlich also aus Deutschland kommt, werden wir bei uns kaum eine Abkehr vom üblichen „Kleinster Nenner Radio“ bekommen.

Es gibt viele Gründe dafür.

In Deutschland haben die wenigsten Radiomanager begriffen, dass sich Produkt und Geschäftsmodell weiterentwickeln müssen. Es gibt keinen Innovationstreiber, damit keinen Innovationsdruck – und in den meisten deutschen Medienunternehmen dank schlechter Unternehmenskultur auch keinen Innovationsspielraum.

Dazu verlangt ein System wie das von Absolute Radio ein Umdenken in der gesamten Musikplanung. Mit einer Datenbank von 300 – 800 Titeln (wie bei deutschen Radiostationen üblich) kann man auf sieben Kanälen keine Zeitsynchronität erzeugen. Man müsste seinem Hörer deutlich mehr unterschiedliche Titel zutrauen als bislang. Und das ist aus Sicht eines Deutschen Radiomanagers ein absoluter Frevel.

Und es unterstreicht, wie sehr deutsches Radio im Gestern verhaftet ist.