Warum der Reuters Digital News Report 2018 eine gute Nachricht für Radiomacher ist (aber eine schlechte für Radiounternehmen)

Zweimal im Jahr bewerten Radiosender ihre gesellschaftliche Relevanz anhand der Media Analyse. Danach feiert sich das Radio selbst als extrem relevant für Wirtschaft und Gesellschaft. Die Methoden, die wissenschaftlich fundierter sind, kommen regelmäßig zu anderen Ergebissen. In diesem Jahr aber mit einer guten Nachricht für Radiomacher.

Es sind die beiden Tage im Jahr, auf die fast die ganze Radiobranche hinfiebert. Die „Quoten“ erscheinen, also die Auswertungen der Media Analysen für das Radio. Dieser Untersuchungsmethode folgend trotzt das Medium dem Medienwandel.

Radio werde unglaublich viel gehört. Und Radio sei wahnsinnig relevant.

Die Untersuchungsmethode haben die Radiosender, Mediaagenturen, Werbeagenturen und einige Werbtreibende gemeinsam entwickelt. Kurz: alles Organisationen, die daran Interesse haben, dass die Zahlen in ihrer Gesamtheit blendend aussehen. Denn darauf basiert ihr Geschäftsmodell. Ganz dem zu Beginn der 2010er auf Radiokonferenzen verbreiteten Mantra folgend „wir dürfen unser Medium nicht klein reden“.

Audio ist nicht mehr nur Radio
Die Nutzung von Audio hat sich seit der Verbreitung von Smartphones kontinuierlich weiterentwickelt – weg vom radiogebundenen Morgenritual.

Andere Untersuchungen wie der Reuters Digital News Report sind wissenschaftlich sehr viel weniger umstritten. Auch an dieser Untersuchung sind Medienunternehmen (und google) als Finanziers beteiligt. Sie wird aber im Wesentlichen von Forschungsinstituten und Universitäten getragen. Einmal im Jahr werden in dieser Studie in 37 Ländern Onlinennutzer nach ihrer Nachrichtenrezeption befragt.

Radio hat nur noch auf den ersten Blick Relevanz

Eigentlich schneidet das alte lineare Audiomedium auch hier ganz gut ab. Immerhin 45% der Onliner nutzen auch Radio als Nachrichtenquelle regelmäßig. Radio ist damit dritt-relevanteste Quelle der deutschen Onliner – wenn auch mit recht großem Abstand zu Platz zwei.

Man kann die Zahl aber auch anders interpretieren. Für mehr als die Hälfte der Onliner hat Radio keine besondere Relevanz (mehr). Die Zahlen waren vor fünf Jahren noch einiges besser.

Schlechter schneidet Radio bei einer tieferen Nachfrage ab. Die Autoren der Studie wollten wissen, welches Medium die Hauptquelle für Nachrichten ist. Aus Sicht der Medienwissenschaft bedeutet diese Frage auch: welches Medium hat die Eigenschaft eines Agenda Settings – also welches Medium gibt die Richtung  vor, welches Thema die Aufmerksamkeitsschwelle der Rezipienten erreicht.

Radio ist nur noch bei rund 11 % der Onliner die hauptsächliche Nachrichtenquelle. Als einziges Medium kommt Radio sogar auf „glanzvolle“ 0% bei der Frage danach, welches Medium die einzige Quelle für Nachrichten ist.

Diese Ergebnisse sind in den unterschiedlichen Altersstufen ähnlich. Bei der Kernzielgruppe der meisten privaten Sender und der werbesendenden Öffentlich-Rechtlichen (die 35 bis 44 Jährigen) schneidet das Radio sogar auffallend schlecht ab.

Schwächen des Vergleichs

Nun lassen sich Media Analyse und Reuters Digital News Report kaum direkt miteinander vergleichen. Die Media Analyse fragt alle (und nicht nur die Onliner). Außerdem ist beim Reuters Digital News Report nicht genau definiert, was „Nachrichten“ eigentlich sind. Es sind also eher gefühlte Antworten der Befragten.

Folgt man dennoch den Zahlen des Reuters Digital News Reports wird klar, dass man im Radio weitgehend auf die Ausstrahlung von Informationen verzichten könnte. Die Rezeption von Radionachrichten erfolgt eher zufällig, weil einige – und zwar weniger als 50% der Befragten – dann doch irgendwie noch das Radio einschalten und nicht gleich wegschalten, wenn geredet wird.

Letztlich bestätigt sich das, was schon vor 25 Jahren von den Formatgöttern des Radios gepredigt wurde: Nachrichten sind ein Abschaltfaktor. Man macht sie nur, weil es das Gesetz vorschreibt – oder der der letzte Rest öffentlich-rechtlichen Selbstverständnisses (oder auch, weil man den öffentlich-rechtlichen Auftrag so versteht, wie bei Programmen von radio eins bis zum Deutschlandfunk).

Und was ist daran jetzt gut für Radiomacher?

Es ist für die aktiven Radio-Nachrichten Kolleginnen und Kollegen sicher erst einmal richtig – ich sage mal, „doof“ -, anhand der Zahlen zu sehen, wie wenig Bedeutung die eigene Arbeit eigentlich hat. Zumindest im Vergleich zu dem, was die Chefs immer über den gesellschaftlichen Impact erzählen.

Meiner Meinung nach liegt es jedoch nicht an der Arbeit an sich, sondern offenbar am Kontext des linearen, auf gute Laune und Superhits formatierten (und damit auf die Methode der Media Analyse optimierten) Programms. Oder anders ausgedrückt: lineares Radio wird selten wegen der Wortbeiträge gehört.

Aber Wortbeiträge funktionieren extrem gut, wenn sie non – linear sind. Im Reuters Digital News Report wird sogar begeistert von einer Bedeutungsexplosion gesprochen, wenn man an Audio On Demand denkt. Zumindest im anglo-amerikanischen Sprachraum.

Der Begriff „disruptive Veränderung“ stand da im Raum – also das Hinwegfegen alter Geschäftsmodelle zugunsten neuer Formen.

Audio auf Abruf ist unter anderem wegen der Frage der Urheberrechte in der Regel gesprochenes Wort. Das wird immer häufiger gehört, und dabei auch sehr lang.

Als Radiomacher auch an neue Perspektiven denken

Die Vorstellung des Reuters Digital News Reports habe ich in Berlin in den Räumen von Zeit Online gehört. Zur Präsentation und anschließenden Diskussion kamen dann auch hochkarätige Chefredakteure auf die Bühne.

Die Panelisten bei der Vorstellung des Reuters Digital News Reports
Die Panelisten bei der Vorstellung des Reuters Digital News Reports 2018 in den Räumen von Zeit Online in Berlin. (V.l.n.r.) Jochen Wegner (Chefredakteur Zeit Online), Barbara Hans (Chefredakteurin Spiegel Online), Elmar Thevenßen (Redaktionsleiter ZDF Aktuelles), Benedicte Autret (Head of strategic relations news and publishers UK and Benelux, google)

Sie eint, dass sie in Audio (sie nennen es in dem Fall Podcast) extrem großes Potenzial sehen. Auch, wenn man merkt, dass aus Zeitungssicht gedacht wird.

So wird die Downloadzahl eines Podcasts zum Beispiel mit Hören eines Podcasts verwechselt. Oder es wird jubiliert, dass es ja „so billig ist, einen Podcast zu produzieren“. Billig ist Audio On Demand nur, wenn es billig gemacht ist – und das hört man eben einigen im Zeitungskontext veröffentlichten Podcasts auch an.

Es ist also Platz am Markt für professionelle Audio-Macher, die „Wort“ können. Nicht nur, weil der Markt selbst immens wächst. Sondern auch, weil zumindest im deutschsprachigen Raum viele, die heute Podcasts machen, das eigentlich nicht können. Denn sprechen muss man lernen. Erst recht dann, wenn es authentisch sein soll, wie es im Beispiel von Podcasts der Fall ist.

Das heißt aber auch, das Radiomachern, denen die Authentizität aberzogen wurde, nie im Audio On Demand erfolgreich sein werden.

Was noch?

Es wurde an diesem Abend noch viel diskutiert. Herausheben möchte noch diese Aspekte:

  • Die Relevanz von Social Media als Zugangsweg zu Nachrichten verschiebt sich weltweit. Facebook verliert deutlich an Bedeutung, geschlossenere Systeme wie Snapchat oder WhatsApp gewinnen. Grund ist vermutlich die Veränderung im Facebook-Algorithmus. Ausnahme ist Deutschland. Hier bleibt Facebook unverändert relevant – im Vergleich zu den anderen Ländern aber eher auf niedrigem Niveau.
  • Wie auch schon zu analogen Zeiten diskutiert (oder interagiert) nur eine kleine Gruppe von Menschen über Nachrichten. Am häufigsten passiert die Interaktion bei Facebook mit 15%. Man sollte also als Journalist bei seiner Themenfindung tunlichst vermeiden, die Interaktionen in sozialen Netzwerken als wesentlichen Faktor für die Relevanz einer Nachricht misszuverstehen (siehe auch mein  Text zu Ethik in Social Media)
  • Das Geschäftsmodell der Donation, also der freiwilligen Spende der Nutzer, gewinnt langsam an Bedeutung.
  • Was mir sehr positiv auffiel: Jochen Wegner von Zeit Online teilte die Erkenntnis seiner Redaktion, dass die im Digitalen messbaren Zahlen nur sehr wenig darüber aussagen, für wie relevant ein Text vom Rezipienten empfunden wird. Er bestätigt damit den Weg, den auch Medien wie The Guardian oder die New York Times schon seit einigen Jahren gehen – bei dem die messbaren Faktoren nur ein Teil der Entscheidungsfindung in einer Redaktion sind.
  • Elmar Theveßen (ZDF) wiederum erklärte, dass seine Redaktion Themen auch wegen des Einflusses von Social Media anders bewertet als noch vor einigen Jahren. Barbara Hans (Spiegel Online) argumentierte ähnlich, wenn auch mit der Begründung, dass Klickzahlen nun einmal Teil des Geschäftsmodells sind.
  • Ein pauschaler Rückgang der Aufmerksamkeitsspanne ist laut Reuters Digital News Report ein Mythos. Die Untersuchung bestätigt das, was in der Medienforschung schon seit einigen Jahren Konsens ist: es kommt auf den Nutzungszusammenhang an. In machen Situationen und bei manchen Inhalten funktioniert zum Beispiel ein kurzes Bild als Träger der Information besser, in anderen ein 15.000 Zeichen – Text. Oder eben auch ein 90 Minuten Podcast.
  • Der Vollständigkeit halber will ich noch erwähnen, dass Barbara Hans (Spiegel Online) der festen Überzeugung ist, dass crossmediale Geschichten beim Nutzer nicht funktionieren würden. Ich bin völlig anderer Meinung. Man muss sie eben gut machen, dann funktionieren sie auch 🙂 (Ein neues Beispiel folgt nächste Woche)

Links:

Der Reuters Digital News Report 2018

Die deutsche Auswertung beim Hans-Bredow-Institut