Vom Sinn und Unsinn der Zahlen

Die Nutzung ist seit Einführung des Privatfunks in Deutschland die entscheidende Währung. Die „Quoten“ sind die Basis für die Berechnung von Werbepreisen. Oder die Rechtfertigung für die Erhebung von Rundfunkgebühren, im Fall der Öffentlich-Rechtlichen Sender.

Eine schönen Hintergrund zum Sinn und Unsinn von Quoten liefert das – wenn meiner Meinung nach auch nicht ganz vollständige – Feature „Quote, Quatsch und Qualität“ von Barbara Sichtermann und Simon Brückner, ausgestrahlt im Deutschlandfunk. (Audio) (Manuskript).

Quoten sind schwer voraussehbar. Also suchen die Entscheider immer wieder andere Zahlen, an denen sie sich orientieren können. Um ein Programm zu gestalten, das höhere Quoten bringt. Oder manchmal auch, um eine politische oder gesellschaftliche Rechtfertigung für ihre Entscheidungen zu bauen. Die Mediennutzungsforschung ist letzlich also viel wichtiger dafür, wie das Programm tatsächlich aussieht, als die Quote. Denn sie bildet die Entscheidungsbasis für die Entscheider.

Kürzlich sah ich die Präsentation einer dieser Untersuchungen zur Mediennutzung. Es ging um die neuste Ausgabe des Reuters Institute Digital News Survey. Woher beziehen Menschen heute ihre Nachrichten, war die Frage. Wegen meiner Meinung nach einiger grundsätzlicher Fehler in der Anlage der Studie sagen die Ergebnisse jedoch kaum etwas aus. Trotzdem wird auch diese Untersuchung wieder Entscheidungsgrundlage für einige Medienmacher sein.

Ein paar Beispiele dafür. Sie sind exemplarisch für sehr viele quanititativ angelegte Untersuchungen zur Mediennutzung.

Die Fragestellung:

Woher beziehen Sie ihre Nachrichten, fragten die Studienmacher die Menschen . Und jetzt fragen Sie als Leser des Blogs doch bitte mal Ihre Freunde oder Nachbarn, was Nachrichten überhaupt sind. Kaum jemand wird die richtige Antwort kennen. Denn „Nachrichten“ ist ein Fachbegriff. Einer, den Journalisten definieren können. Aber eben nicht die befragten Menschen. Für sie sind „Nachrichten“ etwas emotionales, persönlich sehr unterschiedliches. Der typische „Tagesschau“ – Zuschauer wird den Begriff „Nachrichten“ völlig anders definieren als der RTL II – News – Zuschauer. Meint „Nachrichten“ in dieser Studie ein Format, ein Design, oder den Inhalt?

Die Antworten der Zuschauer:

Die Untersuchung ergab, dass sich gerade mal 18 % der Deutschen für Nachrichten über Promis & Co. interessieren. Und deutlich mehr als 70 % für politische Nachrichten. Das nennt man dann wohl gesellschaftlich erwartete Antwort. Denn in Deutschland gilt es immer noch als schmückend, sich für Politik zu interessieren, und als abwertend, wenn einen die Promis interessieren.

Klar, es gibt politisch Interessierte in Deutschland. Aber dieser Unterschied in der Nutzung? Dann dürfte bild.de nicht die erfolgreichste Nachrichtenseite des Landes sein.

In der Radiobranche kennt man diesen Unterschied zwischen dem, was die Menschen als ihr Interesse angeben und dem Programminhalt, bei dem sie wegschalten, übrigens schon lange. Auch Radiohörer interessieren sich vornehmlich für Nachrichten, schalten dann aber doch meist um (was möglicherweise auch an der Machart von Radionachrichten liegt, aber das ist ein anderes Thema).

Öffentlich-Rechtlich oder Privat?

Auch diesen Unterschied kennen nur die Medienfachleute. Ich wette, dass viele Normalbürger nicht mit Sicherheit sagen können, welches Radioprogramm und welcher Fernsehsender Öffentlich-Rechtlich oder Privat ist. Auch hier gilt wahrscheinlich eher das „gelernte“, die Marke: dass Öffentlich-Rechtlich eben eher für Nachrichten steht.

Unterschiede in der Abfrage zwischen TV-Programm und Online

Klar führt die Tagesschau erwartungsgemäß die Reihenfolge der wichtigsten Nachrichtenquellen in dieser Untersuchung an. Bei Onlinequellen spielt die Tagesschau laut der Zahlen jedoch keine Rolle. Warum? Weil die Studiendesigner offenbar tatsächlich gestützt gefragt haben, ob man sich bei den Seiten ARD.de oder daserste.de über Nachrichten informiert. Warum fragen sie nicht nach tagesschau.de?? Dieser Punkt machte mich fassungslos.

Was besser machen?

Quantitative Mediennutzungsfroschung, basierend auf Erinnerungsabfragen, liefert meiner Meinung nach heute kaum noch ernsthafte Hinweise darauf, wie Medien genutzt werden. Dazu sind die Erwartungen der Menschen zu unterschiedlich, der Markt zu fragmentiert.

Auch die Mediennutzungsforschung muss den Sprung in das neue Medienzeitalter wagen. Sonst wird sie nutzlos.

 

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