Bestechung von Journalismus – zweierlei Maß?

Journalisten gelten als bestechlich. Warum stellt eigentlich niemand mehr die Frage nach der Bestechlichkeit der Medienunternehmen? Es ist Zeit für einen Denkanstoß:

Journalisten sind Menschen. Und als solche sind auch sie anfällig für Bestechung. Besonders, wenn die Bezahlung der Arbeit immer schlechter wird. Das Netzwerk Recherche hat dazu im Juli 2013 einige Fallbeispiele zusammengetragen. Als Reaktion auf andauernde Bestechlichkeitsvorwürfe erlassen viele Medienunternehmen Compliance – Regeln – also Anweisungen, wieviel man als Geschenk oder Unterstützung annehmen darf. Meist sind das irgendwas zwischen 35 und 40 €.

Mir ist noch sehr gut die Empörung in den Leitungsreihen des NDR in Erinnerung (Zitat: „Unethisches Angebot“) über die – inzwischen abgeschafften – Presserabatte von Air Berlin. Journalisten bekamen eine Zeit lang Ermäßigungen auf den Ticketpreis für sich und eine Begleitung von 25 bis 50 Prozent. Klingt viel. Wenn man aber versteht, dass Ticketpreis meint: ohne Steuern, Gebühren etc. wird sehr schnell klar, dass es da um einen Rabatt von vielleicht 25 bis 50 Euro ging. Oder der ebenfalls abgeschaffte T-Mobile Pressetarif. Der brachte immerhin eine Ersparnis von rund 5 € im Monat auf einen Grundpreis, der allein schon 20 € über dem Marktdurchschnitt lag (oder wer bezahlt heute noch 40 € im Monat für 100 Freiminuten und 300 MB?).

Kurz gesagt: Der Durchschnitts-Journalist genoß durchaus mal Rabatte – allerdings meist sehr kleine. Und anders gesagt: Als Student bekam ich und als Unternehmer bekomme ich größere Rabatte.

Der einzelne Journalist und sein mögliches Fehlverhalten steht im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses. Nach dem Fehlverhalten der Medienunternehmen fragt jedoch niemand. Aufgefallen ist mir das Thema bei einem Beitrag des NDR Medienmagazins Zapp. Es geht eigentlich um Werbung, die Vattenfall in Zusammenhang mit dem Hamburger Volksentscheid zum Rückkauf der Energienetze möglicherweise unter falschem Namen schaltet. Für mich entscheidend waren die Minuten 01:00 bis 02:08 und 02:44 bis 03:12 in dem Film.

Zapp – Autorin Gita Datta berichtet zuerst von dem sehr umfangreichen und teuren Anzeigenpaket, das Vattenfall in den Publikationen des Springer-Verlages gekauft hat – von der regelmäßigen viertelseitigen Anzeige im Hamburger Abendblatt bis zur umfangreichen Verlagsbeilage in den Springer-Publikationen Abendblatt, Welt und Bild. Außerdem fasst sie die eindeutige Meinung zusammen, die Bild Hamburg in Sachen Netzrückkauf vertritt (nämlich die von Vattenfall).

Das Anzeigen – Volumen dürfte immens sein. Auf jeden Fall hat Vattenfall mehr an den Springer – Verlag gezahlt, als alle Redakteure dort zusammen jemals an Presserabatten eingestrichen haben könnten.

Ich habe mein Volontariat bei einem Anzeigenblatt gemacht. Der Verlag lebt bis heute ausschließlich von den Anzeigenkunden. Die Versuchung der Verlagsleitung war immens groß, auf die Redaktion im Sinne der Anzeigenkunden Einfluß zu nehmen. Wir konnten uns gut dagegen wehren, denn die eigentlich wichtigste Währung – auch für das Anzeigenblatt – war die Glaubwürdigkeit der Redaktion.

Ist das heute noch möglich? Wie unabhängig ist die Redaktion wirklich noch von den Anzeigenkunden? Wäre ein Artikel in der Bild – oder auch in jeder anderen wirtschaftlich ausgerichteten Publikation möglich, der sich gegen einen großen, dominanten Anzeigenkunden richtet? Diese Fragen sollte man sich mindestens ebenso stellen auf der Suche nach Korruption, wie die nach Presserabatten.