Fort McMoney – ein neuer Meilenstein im interaktiven Storytelling

Das National Filmboard Of Canada bleibt wohl die innovativste Filmförderung der Welt. Zu ihren zentralen Aufgaben zählt die Organisation die Förderung interaktiver Geschichten. Die Neuste mit dem Titel „Fort McMoney“ ist ein weitere Meilenstein in der Entwicklung des interactive Storytellings für non-fiktionale Inhalte. Leider bleibt am Ende vor allem die Erkenntnis: es liegen noch sehr viele Meilensteine vor den Machern.

David Dufresne ist einer der Pioniere des interactive Storytellings für journalistische Inhalte. 2009 veröffentlichte er Prison Valley, eine Dokumentation über den Gefängnisort Canon City im US Bundesstaat Colorado – mit ersten vorsichtigen Versuchen der Interaktivität. Man konnte die Reihenfolge von kurzen Dokumentarfilmbausteinen mitbestimmen. Immerhin.

Fort McMoney - Eine interaktive Dokumentation mit Gamification

Jetzt hat Dufresne in Zusammenarbeit mit arte Fort McMoney veröffentlicht. Es geht diesmal um das weltweite Zentrum der Ölsandförderung: die Kanadische Stadt Fort McMurray. Dufresne hat diesmal neben der Dokumentation eine Art Computerspiel mit eingebaut. Mit seinem Weg durch die einzelnen Dokumentationsteile aus Fort McMurray soll der „Spieler“ den fiktiven Ort Fort McMoney verändern. Soweit die Theorie.

Fort McMoney (Trailer) from National Film Board of Canada on Vimeo.

Wie in einem Point & Click Adventure bewegt sich der – nennen wir ihn hier einfach mal – Spieler durch die Welt von Fort McMurray. Man kann so nach und nach die wichtigen Punkte des Ortes erkunden.

In der interaktiven Dokumentation Fort McMoney geht man mit klassischer Click - Adventure Technologie durch die "Spieltwelt - die reale Stadt Fort McMurry

Überall trifft man auf die Protagonisten der Dokumentation. Mit ihnen kann man dann ein Interview führen – und zwar, in dem man als Spieler meist zwischen drei Fragen auswählen kann, die man dem Protagonisten stellen kann. Mit jedem Schritt sammelt man Erfahrungspunkte, die den eigenen Einfluss auf die Spielwelt steigern sollen.

In der interaktiven Dokumentation Fort McMoney kann der Spieler mit verschiedenen Protagonisten "sprechen" und unterschiedliche Fragen stellen (rechts)

Dufresne versucht also die Motivation zum Weitermachen über „Punkte sammeln“ aufrecht zu halten. Hier liegt eins der wesentlichen Probleme. Mir ist in gut einer Stunde bewegen durch die Dokumentation nicht klar geworden, was ich mit diesen Punkten später vielleicht einmal anfangen kann. Auch die Spielanleitung hatte keine Antwort.

Das ist aber nur eins der Probleme von Fort McMoney. Mit Fortschreiten der Story häufen sich Programmierfehler. Immer wieder fehlen Untertitel, sie passen zeitweise nicht zum gesprochenen Text – oder, die Untertitel laufen ohne Video. Zwischen einzelnen Szene entstehen teils sehr lange Pausen – in denen vermutlich ein Video gepuffert wird. Leider ist das nirgendwo zu sehen. Es wirkt eher so, als wäre die Dokumentation komplett unterbrochen.

Am wenigsten gelungen ist jedoch die Navigation durch die Dokumentation an sich. Bereits besuchte Elemente werden immer wieder als neu angezeigt. Verklickt man sich, sieht man das vier Minuten Video, dass man kurz vorher schon einmal gesehen hat, wieder annähernd vollständig. Ein weiteres Problem beginnt bereits am Anfang. Klickt man  auf die erste sichtbare Protagonistin, ist alles in Ordnung. Sie gibt so etwas wie eine erste Einführung in den Handlungsrahmen. Tut man das nicht, werden viele Antworten der späteren Protagonisten unverständlich.

Zum Dritten wirken auch nach längerem Spielen manche Fragen an die Protagonisten unlogisch. Immer wieder taucht zum Beispiel die Frage nach einem seltsamen Geruch in der Stadt auf – ein Geruch, der jedoch vorher von keinem der angesteuerten Protagonisten jemals beschrieben wurde.

Leider kein Vorteil durch die Interaktivität

Eine non-fiktionale Story interaktiv zu erzählen sollte meiner Meinung nach nur einen Grund haben: den „Zuschauer“ bei der Stange zu halten, ihn intensiv zu fesseln – und im Idealfall in einen Flow bringen. Da stört jeder Programmierfehler, jeder unlogische Schritt. Davon gibt es aber leider in Fort McMoney zu viele. Trotz meines großen Interesses an dieser Erzählform (und auch am Thema) war meine persönliche Konzentrationsbereitschaft nach einer Stunde aufgebraucht. Es wurde schlicht langweilig – trotz der hervorragenden Protagonisten und der toll gefilmten Bilder.

Das Thema hätte in einer klassischen Dokumentation mindestens genauso gut erzählt werden können. Die Interaktion bringt aus meiner Sicht keinen Mehrwert. Sie stört eher.

Aber: Autoren, Programmierer, Journalisten, Produzenten – sie alle stehen ganz am Anfang der Entwicklung von Interactive Storytelling. Und: nur dank solch mutiger Experimente wie dem von David Dufresne, dem nfb und arte kann sich die neue Erzählform überhaupt weiterentwickeln. Trotz der „Mängel“: Danke für diesen großen Meilenstein. Wir sollten sehr gespannt auf das nächste Projekt schauen.

Ergänzung vom 1.12.2013:

Diese freundliche EMail hat mich gerade erreicht:

„Lieber Herr Westfahl,

Vielen Dank für diese interessante Kritik der ersten Woche des
ein-monatigen Spiels Fort McMoney. Das Doku-Spiel ist lange nicht zuende
und daher nehmen wir ihre Herausforderung, Sie bei der Erzählung zu
fesseln gerne an. Unsere Programmierer arbeiten Tag und Nacht (kein Witz!)
um die Unangenehmheiten (Bugs) aus dem Weg zu nehmen und die Woche 2
bereitzustellen.

Uns würde es interessieren, Sie zur 2. Woche zu hören, denn im Gegensatz
zu einem Film, einem Bericht oder viele andere Medienangebote, ist die
erste Präsentation von Fort McMoney am 25. November nur der Anfang einer
interaktiven Geschichte gewesen. Eine Geschichte, die sie noch zu staunen
bringen wird.

Lieber Gruß,

Der Spielleiter | Fort McMoney

Und da bringt das Team von Fort McMoney einen der großen Vorteile interaktiver Stories auf den Punkt. Sie müssen mit Veröffentlichung nicht zuende erzählt sein. Sie können sich entwickeln, inhaltlich wie auch technisch. Ich werde die nächsten Wochen Fort McMoney weiter verfolgen. Und dieser Artikel wird sich ebenfalls weiterentwickeln. Ich kann jedem nur empfehlen, sich ebenfalls auf das Experiment einzulassen.