Die sechs guten Vorsätze für Medien 2015: bitte weniger Beton und mehr Knete

In der deutschen Medienbranche hat sich 2014 viel verändert.  Stellen wurden gekürzt (oder Honorare eingedampft), die Lobbyverbände investieren 99% ihrer Zeit in Festzurren alter Strukturen (Leistungsschutzrecht, Mindestlohnausnahmen, UKW-Frequenzkampf, 3-Stufen-Test, Depublikationspflicht). All das, um sich für eine Zukunft aufzustellen, ohne sich der Zukunft zu stellen. Es geht um das Halten alter Umsatzrenditen und nicht um das Neuschreiben von Geschäftsmodellen – oder anderes gesagt: es geht der Medienbranche um Beton, und nicht um Knete. Dabei wird es auch 2015 so viele Dinge geben, die man zu etwas sinnvollem, mitreißenden oder auch gewinnbringenden formen könnte. Ein Wunschzettel:

1. Gegen den Vertrauensverlust kämpfen

Tim vs. Zoe Barnes. Moralischer Journalist gegen Karrierejournalistin. Montage: Perfekte Welle Medien
Tim vs. Zoe Barnes. Moralischer Journalist gegen Karrierejournalistin. Montage: Perfekte Welle Medien

Auch, wenn es gerade in den vergangenen Monaten immer wieder anderes behauptet wurde: der Journalismus steckt in einer Krise in Deutschland – vor allem, weil kaum jemand mehr den Medien über den Weg traut. Ich meine damit nicht das dumme Geplapper von der „Lügenpresse“ bei Protesten in und um Dresden, sondern die Ergebnisse seriöser Studien zum Thema. Die Liste der Ursachen für den Vertrauensverlust ist sicher sehr sehr lang (und leider auch nur schlecht erforscht). An vielen Dingen kann ein Journalist auch direkt nichts ändern.

Ein wichtiger Schritt wäre jedoch die bedingungslose Fokussierung auf Qualität, selbst bei vermeintlich unwichtigen Dingen. Es zerstört einfach das vertrauensvolle Image, wenn der Wettermoderator des Qualitätsnachrichten Hörfunkprogramms um 17 Uhr (also, im Winter eine Stunde nach Sonnenuntergang) seine Wettermoderation tatsächlich immer noch mit den Worten beginnt „Heute bekommen Sie an der Nordseeküste am meisten Sonne zu sehen“. Oder, wenn die Lokalzeitung unkritisch die Argumente einer Bürgerinitiative (oder auch eines Unternehmens und in seltenen Fällen auch der Politik) nachplappert, ohne zu hinterfragen. Oder wenn Überschrift und Teaser eine andere Botschaft vermitteln als der Inhalt.

(Beispiele findet man unter anderem natürlich bei Bildblog oder – für das Medium Radio – auch bei fair-radio.de)

Zwar sind die mit Abstand meisten journalistischen Inhalte in Deutschland ohne Fehler oder zumindest ethisch korrekt.  Jede einzelne Veröffentlichung mit Qualitätsmängeln ist jedoch wie ein Booster für den Vertrauensverlust. Diese Mängel werden dank der steigenden Arbeitsverdichtung ohne Optimierung der Prozesse sicherlich auch nicht seltener.

Der Journalismus braucht für gesteigertes Vertrauen mehr Persönlichkeiten, die öffentlich für Qualität, journalistische Werte und Selbstlosigkeit stehen, und nicht noch mehr Menschen, die den Job machen, um die persönliche Prominenz zu maximieren und dabei für den schnellen Erfolg Sorgfalt, Seriösität und leider manchmal auch Wahrheit und Logik verdrehen – eben mehr Tims und weniger Zoe Barnes (die mit vollem Körpereinsatz und ohne Rücksicht auf journalistische Unabhängigkeit bis zum bitteren Ende in der Serie „House Of Cards“ um Karrierepunkte kämpft).

Guter Vorsatz: Mit mehr Qualität am Image arbeiten.

2. Mehr konstruktive Auseinandersetzung mit Formen

Seit Jahren kaum verändert, wie der Journalismus an sich - ein Standardwerk für die Volontärsausbildung. Foto: privat
Seit Jahren kaum verändert, wie der Journalismus an sich – ein Standardwerk für die Volontärsausbildung. Foto: privat

Es liegt auf der Hand, dass digitale Veröffentlichungen „anders“ sein müssen als Publikationen in klassischen Mediengattungen. Das weiß die Medienwissenschaft schon seit zwanzig Jahren, und ganz langsam setzt sich das Wissen auch in den Medien in Deutschland durch (siehe Crossmedia). Ich hoffe, der Prozess geht 2015 weiter.

Teil der Theorie ist jedoch auch, dass sich die klassischen Mediengattungen ebenfalls an die neuen Erwartungen der Nutzer anpassen müssten. Oder anders gesagt: ein Zeitungstext darf sich heute nicht mehr so lesen wie in den 1990ern, und eine Fernsehserie wird sicher kaum noch erfolgreich, wenn sie sich an zwanzig Jahre alten Prinzipien orientiert.

In einigen wenigen klassischen Gattungen (z.B. Radionachrichten ) haben sich einige wenige Praktiker an die Entwicklung von und den Diskurs über neue Formen für alte Medien gemacht. Das würde auch anderen Mediengattungen helfen.

Guter Vorsatz: Alte Formen hinterfragen, erst recht, wenn keinem in der Redaktion mehr einfallen will, warum man etwas so oder so macht.

3. Social Media lernen

Den Umgang mit Social Media lernen. Foto: © Rawpixel - Fotolia.com
Den Umgang mit Social Media lernen. Foto: © Rawpixel – Fotolia.com

Es gibt immer noch Journalisten, die 1.000 Tweets für einen Shitstorm und 100 Posts bei Facebook für die Mehrheitsmeinung halten. Ich kann das nachvollziehen. Journalisten sind es aus alten Zeiten gewohnt, dass sie so gut wie kein Feedback auf ihre Arbeit erhalten. Gab es mal zehn Leserbriefe oder zwanzig Anrufe am Zuschauertelefon, musste man schon gewaltigen Bockmist gebaut haben.

Aus dieser Perspektive wirkt die Häufigkeit der Meinungsäußerungen in sozialen Netzwerken immens relevant. Ist sie aber nicht. Sie sagt lediglich etwas über die Dynamik der Meinungen innerhalb des gerade in dem Moment vorhandenen (und sich durch Zufall und Algorithmen ebenfalls sich ständig ändernden) Netzwerkgefüges aus. Mehrheiten werden nicht abgebildet. Längerfristige Trends auch nicht.

Das ist nur ein Beispiel für nicht verstandenes Social Media , das mir aktuell auf der Seele brannte. Es gibt noch sehr viel mehr davon (Tweets im Radio vorlesen, keine Ressourcen für Social Media, Facebook als Ankündigungsmedium verstehen, Chancen der One to One Kommunikation nicht nutzen…) Auch die Medienwissenschaft hat die sozialen Netzwerke und ihre Dynamik noch nicht vollends verstanden. Aber vieles weiß man schon. Das Wissen schlummert in den meist unterbesetzten Social Media Abteilungen von Medienhäusern und erreicht selten die Redaktionen.

Social Media ist ein tiefgreifender Change Prozess. Der ist nicht einfach. Aber es wäre ein Anfang, wenn jeder Journalist einen Basiskurs Social Media besuchen würde in 2015.

Guter Vorsatz: Fortbildung

4. Den Willen des Kunden hören – aber bitte richtig

Foto: © tharun15 - Fotolia.com
Foto: © tharun15 – Fotolia.com

Eine wichtige Eigenschaft von gutem Startups ist die ständige Iteration – die Nutzung von relevanten und validen Daten über die Kundenwünsche und die entsprechende schnelle Anpassung des Produktes. Klar wird aus einem großen, schwerfälligen Mediendampfer (meist noch mit Kohlantrieb – und schnell schmelzendem Kohlevorrat – wenn mir auch an dieser Stelle die Doppeldeutigkeit erlaubt sei) nicht von eben auf jetzt ein Green Energy angetriebenes Speedboat. Aber den richtigen Kurs sollte man wenigstens setzen.

Gegenwärtig gibt die Quote gibt den Kurs vor.

Die Quote ist jedoch eine Schätzung, keine Messung.

Dass sich privatwirtschaftliche Medienunternehmen daran orientieren, ist auf den ersten Blick noch nachvollziehbar – schließlich kann man mit höherer Quote die Werbeumsätze vergrößern. Es ist aber auch extrem kurzsichtig. Man sollte sich das noch mal auf der Zunge zergehen lassen.

Die meisten Medienhäuser entwickeln ihre Zukunftsstrategien auf Basis der Quoten, also der geschätzten Zahlen aus der Vergangenheit. Da könnte man auch gleich eine Münze werfen. Das sagt mindestens eben so viel über die Zukunft einer sich immer weiter und schneller wandelnden Gesellschaft aus . Letztlich hat das schon Unternehmen wie Polaroid oder Nokia vom Markt gefegt.

NDR Intendant entschuldigt sich für Inhalte, die keine Quote machen. Screenshot: Perfekte Welle Medien
NDR Intendant entschuldigt sich für Inhalte, die keine Quote machen. Screenshot: Perfekte Welle Medien

Fatal wird das bei öffentlich-rechtlichen Anstalten. Sie müssen sich für die Rundfunkgebühren rechtfertigen und tun das über die Quoten. Legendär geworden ist die öffentliche Entschuldigung des NDR Intendanten bei den Münchener Medientagen 2014 für die nicht quoten-erfolgreichen Programme, die er ja schließlich auch noch produzieren lassen muss.

Weil aber die Quoten nichts über tatsächliche Nutzerzahlen und erst recht nichts über Qualität oder gesellschaftliche Relevanz aussagen ist es kein Wunder, dass die für die lebendige Demokratie unverzichtbaren öffentlich-rechtlichen Anstalten immer mehr unter Rechtfertigungsdruck geraten.

Guter Vorsatz: Mehr über die echte Bedeutung der Zahlen lernen, auf denen man die Zukunft baut.

5. Aufstehen vom Kindertisch

Der typische Kindertisch. Foto: © Caroline Schrader - Fotolia.com
Der typische Kindertisch. Foto: © Caroline Schrader – Fotolia.com

Der Journalismusprofessor Jay Rosen hat das kürzlich in einem Blogeintrag schön beschrieben („When to quit your journalism job„). Wenn sich Journalisten geistig darauf beschränken, „Journalismus“ zu machen, dann sitzen sie am Kindertisch. Gemeint ist das kleine Tischchen leicht abseits der Familienfeier, wo man sich zwar daneben benehmen kann, man aber keinen Einfluss auf das Essen hat. Oder auf die Themen. Oder die Gesellschaft. Um diese Passivität geht es.

Der Durchschnittsjournalist beschäftigt sich nicht mit der Zukunft, weder inhaltlich noch geschäftlich. Wenn in einem Medienhaus mit 700 Journalisten nur 30 an den Workshops zur Zukunftsgestaltung des eigenen Mediums teilnehmen (so habe ich es erlebt im vergangenen Jahr), dann ist das fatales Desinteresse. Diese Passivität mündet häufig in Selbstmitleid (alles wird schlechter, man kann ja sowieso nichts ändern…).

Dabei sollte man sich einmischen und für seinen Berufsstand kämpfen. Und wenn die Chefetage aus Betriebswirten nicht mitziehen will, dann macht es eben selbst. Wer wirklich publizieren will, der braucht heute kein Medienhaus mehr.

Guter Vorsatz: Aufstehen, einmischen, mitreden … und unbequeme Fragen stellen.

6. Abgucken bei den Erfolgreichen

Abschreiben bei den Besten hilft ... manchmal. Foto: © lassedesignen - Fotolia.com
Abschreiben bei den Besten hilft … manchmal. Foto: © lassedesignen – Fotolia.com

Der einzige Medienbereich, der sich in Deutschland in den vergangenen drei / vier Jahren ernsthaft weiterentwickelt hat ist der der Unternehmenskommunikation. Pfiffige PR-Abteilungen oder Agenturen füllen die riesigen Lücken, die die klassischen Medien hinterlassen, weil diese es versäumt haben, sich dem veränderten Rezeptionsverhalten der Nutzer anzupassen und veraltete Distribution-, Kommunikations- und Produktionsmethoden pflegen.

Viele der besten digitalen Veröffentlichungen im kurzen oder langen Format kamen 2014 aus der Unternehmenskommunikation. Spannende Stories (meist über Menschen) haben die direkten Werbebotschaften abgelöst. Der Trend wird 2015 weitergehen.

Auch Journalisten und Autoren müssen heute im die Aufmerksamkeit ihrer Nutzer kämpfen, wie es die PR-Leute schon seit langem tun. Wie man das macht, wie man spannend Inhalte vermittelt und dabei trotzdem keinen Etat auf Hollywoodniveau verprasst kann man von den Vordenkern der Unternehmenskommunikation lernen. Man muss nur hinsehen.

Guter Vorsatz: Über den Tellerrand blicken