Story schlägt Technologie. Endlich!

Journalismus war schon immer von den Möglichkeiten der Technologie abhängig. Sie setzte die Grenzen für Inhalte. Doch ein Trend zur freien Veröffentlichung von flexibler Content Software macht zumindest im Onlinejournalismus Barrieren durchlässiger. Der WDR und die Pixar Studios gehen da mit gutem Beispiel voran – wenn auch vermutlich unbewusst.

Diese kleine Notiz im Onlinemagazin geek.com hat mich zuerst erstaunt. Die Pixar Studios bieten ihre hauseigene 3D Animationssoftware Renderman in ein paar Wochen mit der neusten Version zum freien Download an. Mit dieser Software entstanden Kinohits wie Findet Nemo oder Die Monster AG.

Pressefoto aus dem Pixar-Film "Die Monster Uni", (c) Pixar Animation Studios
Pressefoto aus dem Pixar-Film „Die Monster Uni“, (c) Pixar Animation Studios

Sicher, die Bedienung der Software dürfte hoch komplex sein, und mit einem einfachen Heim PC braucht die Berechnung einer zwanzigsekündigen Sequenz vermutlich zwanzig Stunden. Doch entscheidend ist die Denkweise, die hinter der freien Veröffentlichung steckt. Pixar macht ganz deutlich, dass das eigentliche Unternehmenskapital nicht die Software ist, sondern die Fähigkeit, richtig gute Stories zu erzählen.

Das Kreative sorgt für die Welthits, nicht die Technologie. Wenn das so ist, kann man die Software auch frei verteilen.

WDR-Tool Pageflow – Die – noch – komplizierte Lösung für Multimediastories

Ähnliche Folgen hat die freie Veröffentlichung der Software Pageflow zur Komposition von multimedialen Reportagen. Der WDR hatte die Software gemeinsam mit der Kölner Softwareschmide Codevise Solutions Limited entwickelt und anlässlich der re:publica14 zum Download bereitgestellt.

Klar, das Konzept hat (noch) Schwächen. Allein die Tatsache, dass man derzeit eine eigene Ruby on Rails Umgebung zur Nutzung benötigt, dürfte die technologischen Fähigkeiten von 95 % der Onlinejournalisten übersteigen. Meine übrigens auch. Außerdem gleicht sich das Look & Feel jeder mit Pageflow gebauten Multimediareportage. Entsprechend schnell wird es sich abnutzen.

Die mit Pageflow erstellte Multimediareportage "Pop auf'm Dorf" über das Haldern Pop Festival - nominiert für den Grimme Online Award 2014. Screenshot: my mediaguide
Die mit Pageflow erstellte Multimediareportage „Pop auf’m Dorf“ über das Haldern Pop Festival – nominiert für den Grimme Online Award 2014. Screenshot: my mediaguide

Aber auch hier zählt der Wille. Die Erkenntnis, dass nicht die Technologie den Erfolg macht, sondern der kreative Mensch. Content rules, not technology.

Weg mit gelernten Grenzen im Kopf!

Journalisten sind es von je her gewohnt, in technologischen und daraus resultierenden Layout-, Design- oder Formatrichtlinien zu denken. Das Zeitungslayout begrenzt die Wortzahl eines Artikels. Die starre Programmplanung definiert die Länge einer TV-Dokumentation.

Diese Grenzen sind auch von vornherein in nahezu alle Content Management Systeme des Onlinejournalismus eingebaut worden. Schließlich waren es die Medienschaffenden so gewohnt, als die Onlinewelt zu leben begann.

Spricht man mit (den immer seltener werdenden) mediengattungs-konservativen Journalisten über die Möglichkeiten im Digitalen, sieht man sehr häufig Unsicherheit bis Panik in deren Augen. Verständlich. Fallen alte, gelernte Grenzen weg, bleibt eben bei vielen tatsächlich so etwas wie ein unendlicher, weiter Raum, der Zukunftsangst oder Überforderung provoziert. Das geht teils bis hinauf in die Leitungsebene von Medienhäusern.

Doch es gibt Hoffnung. Werden die Werkzeuge zur Veröffentlichung von wirklich guten Multimediareportagen oder sogar interaktiven journalistschen Stories zukünftig immer mehr Open Source – also frei verfügbar -, kann man sich als Journalist oder auch als Medienhaus endlich wieder auf das Wesentliche konzentrieren: den Inhalt, und wie er nahezu frei von Grenzen Online erzählt werden kann. Und das ohne das technologische Entwicklungsrisiko.

Oder, um es in Anlehnung an das berühmte „Form Follows Function“-Designprinzip zu sagen … in Zukunft wird Onlinejournalismus hoffentlich bedeuten: „Distribution Follows Story“.

Ergänzung vom 5. Juni 2014

IPad App Storehouse – Multimedia-Storytelling für jeden (der gutes Material hat)

Als wäre es abgesprochen, hat Apple auf der World Developers Conference gerade die IPad App Storehouse ausgezeichnet. Mit ihr kann man Multimediastories sehr einfach am IPad zusammenstellen. Das Ergebnis ist beeindruckend und schlägt aus meiner Sicht optisch auch den WDR Ansatz Pageflow. Storehouse ist kostenlos und läuft ausschließlich auf dem IPad. Die Stories lassen sich aber auch auf modernen Browsern ansehen (sie fühlen sich aber auf dem IPad besser an).

Screenshot der Storehouse-Story "The Children of Amizero" über eine Schule in Ruanda.

Das Tool ist sehr visuell geprägt. Großflächige Fotos bestimmen den Eindruck. Dazu kommen kurze, maximal 30 Sekunden lange Videosequenzen. Dadurch wird auch klar, dass das Video hier nur als „Geschmacksverstärker“ gedacht ist, als Transportmittel eines Gefühls, eines „dabei seins“ für den Nutzer. Längere Interviews wie bei Pageflow soll es im Storehosue-System nicht geben. Der Autor kann sich voll und ganz auf die Bilder und Inhalte konzentrieren. Das „Programmieren“ der Story ist schon fast banal.

Fazit: Tolles Tool! Mir fehlt jedoch die Möglichkeit, Fotos mit Audio zu unterlegen. Das geht bisher nur über den Umweg Video (mit statischem Foto) produzieren. Aber das ist nur ein kleiner Verbesserungsvorschlag.

Ergänzung vom 27. Juni 2014:

Die mit Pageflow erstellte Multimediareportage Pop auf´m Dorf vom WDR ist heute mit einem Grimme Online Award ausgezeichnet worden. Zu recht, wie ich finde. In der Medienwissenschaft wird Multimedia als Kombination aus everschiedenen Mediengattungen definiert, die zusammengenommen mehr als die Summe der einzelnen Beiträge ergibt. Das wird selten erfüllt. Pop auf´m Dorf  schafft es.

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