Nicht geliebt, nicht genutzt, nicht bezahlt – der Journalismus und die Zahlen

Es sind Zahlen, die einen Journalisten zum Nachdenken über seinen Job bringen sollten. 1 – 3 % zum Beispiel. Oder 20 Minuten. Siemens hat mehr als die Anderen gehört irgendwie auch dazu. 37 % ist glaube ich die schlimmste Zahl.  Nur wenige Zahlen machen Hoffnung. 13,1 %. Oder 1.000 €. Diese Zahlen habe ich in den vergangenen beiden Wochen auf Medienkonferenzen aufgeschnappt. Zum Beispiel da, wo sich die  Medienmanager der alten Medienwelt trafen (Medientage München, ausdrücklich ausgenommen ist hier die hervorragende Halle des Mediencampus Bayern – nicht nur, weil ich dort selbst reden durfte). Und da, wo sich die wenigen Innovatoren der Branche trafen – bei der ersten Tranforming Media Conference in Nürnberg.  Eine Übersetzung der Zahlen – und was sie für die journalistische Zukunft bedeuten könnten.

Den Text gibt es auch zum Anhören (etwas mehr als 17 lohnende Minuten):


 

Das war schon ein tolles Bild. Am Ende der Münchener Medientage saßen einige der Großen des Deutschen Journalismus auf der Bühne im ebenso großen Saal der Münchener Messe. „Es nervt mich. Dieses ständige Getue, der Journalismus sei in der Krise“ (O-Ton Heribert Prantl).

Der Contentgipfel, Abschlussveranstaltung der Münchener Medientage. Foto: Medientage Mpnchen
Der Contentgipfel, Abschlussveranstaltung der Münchener Medientage. Foto: Medientage München

ZDF Nachrichtenmann Claus Kleber nickte anerkennend. Ebenso, wie die meisten der gestandenen Medienleute im Saal. Nein, man will sich die Welt endlich nicht mehr schlecht reden (lassen).

Das war einer der in letzter Zeit häufiger werdenden Momente, in denen ich mich an meine Journalistenausbildung kurz nach der Wiedervereinigung erinnerte. Moral und Ethik standen unter dem Eindruck der Zeit sehr weit oben auf dem Lehrplan. Und uns hat man damals eingebleut: das einzige Kapital, das der Journalist hat, ist das Vertrauen seiner Leser.

Kaum mehr Vertrauen in die Arbeit von Journalisten

Dieses Vertrauen ist die Basis jedes journalistischen Mediengeschäftsmodells. Und hier kommt die erste Zahl ins Spiel. 37 %. So wenige Deutsche würden heute nur noch mit „Ja“ auf die Frage antworten: „Vertrauen Sie einem Journalisten“.

Im GFK Trust in Professions Index von 2014 landeten Journalisten damit auf dem drittletzten Platz. Nur Werber (Beruf: lügen) und Versicherungsmakler (Beruf: betrügen) schnitten noch schlechter ab. Dieses Misstrauen ist natürlich ein Zeichen von Krise (egal, was Heribert Prantl meint) – und auch die Ursache für die nächsen Horrorzahlen.

Es bleibt für die alten Medienbetriebe nur ein Notausgang: Transforming Media
Es bleibt für die alten Medienbetriebe nur ein Notausgang: Transforming Media. Foto: Stefan Westphal

Bei der Fachtagung Transforming Media kamen von anderer Seite noch weitere Zahlen auf den Tisch.

Besprochen wurden bei der Premierenkonferenz in Nürnberg digital orientierte journalistische Geschäftsmodelle. Und die analysieren – wie jedes gutes digitale Startup – Nutzungszahlen und Nutzungsverhalten in einer Exaktheit und Tiefe, wie sie klassische Medien mit ihren quantitativen Befragungen nicht einmal ansatzweise erreichen können.

In der digitalen Welt am Nutzerwunsch vorbeiproduziert

Zum Beispiel die App Readly. Die Nutzer der App können für einen pauschalen Monatsbetrag frei und unbegrenzt Zeitschriften lesen. Zu den wichtigsten Argumenten der Betreiber gegenüber den Verlegern zählt, dass das Leseverhaltens der Nutzer (anonymisiert) analysiert wird.

Das Ergebnis ist aus meiner Sicht vernichtend. Gerade einmal 20 Minuten liest ein durchschnittlicher Nutzer pro Woche in den Zeitschriften. Und das bei hunderten neuen Artikeln in hunderten neuen wöchentlich bei Readly verfügbaren Zeitschriftenausgaben.

Oder anders gesagt: der Großteil der Inhalte landet in der digitalen Welt ungelesen in der Tonne. Vorbei am Bedarf des Kunden produziert, und weg.

„Medienmarken“ nützen nichts

Die andere Zahl lieferte Cosmin Ene, Gründer des Startups Laterpay aus München. Gerade einmal 1-3 % der Besucher der großen deutschen Nachrichtenprotale im Internet kommen im Laufe eines Monats erneut zurück. Ein tolles Beispiel dafür, dass die großen „Medienmarken“ (gemeint ist in diesem Zusammenhang der Ruf von Süddeutsche, Spiegel, NDR etc.) in Wahrheit in der neuen digitalen Medienwelt so gut wie keinen Einfluss auf das tatsächliche Nutzungsverhalten hat.

Corporate Communication füllt die Lücke

Der Bedarf an Inhalten ist immer noch da. Die alten Medien und deren Macher erfüllen den Bedarf nicht – aus meiner Sicht vor allem wegen völlig veralteten Darstellungsformen (aber das ist ein anderes Thema). Der leere Raum füllt sich gerade mit dem, was man früher noch verächtlich „PR“ nannte. Diese Branche hat mit der Digitalisierung der Inhalte in den vergangenen  Jahren riesige Fortschritte gemacht.

Die Mediennutzer werden nun von Inhalten mitgerissen, die Konzerne in Auftrag gegeben haben – und letztlich also auch einem dem Unternehmen wichtigen Ziel dienen. Beispiele? Red Bull natürlich, und zwar nicht nur mit dem Stratosphärensprung, sondern  wegen der Kontrolle über die Bilder  nahezu aller actionartigen Betätigungen, die den Menschen so einfällt (Kunstflug, Cliffdiving, den Steilhang mit dem Montainbike runterrutschen …):

Einer, der es bei den Münchener Medientagen auf den Punkt gebracht hat, ist Tobias Dennehy. Er war bei Siemens sogenannter „Story Architect“. Unter seiner Führung entstand das Projekt /answers – mit Geschichten, bei denen ich neidvoll anerkennen muss: sie fesseln den Zuschauer in einer Art und Tiefe, wie ich es von keinem einzigen deutschen Fernsehprogramm kenne (Hintergründe dazu auch hier und hier ).  Tobias Dennehy sagte  auf den Medientagen: Siemens hat mehr Content auf der Internetseite als manches Medienhaus. Auch, wenn er es überspitzen wollte … aus meiner Sicht hat er recht. Kein Medienhaus hat so viele fesselnde Inhalte auf einer Internetseite, die mit einem Klick erreichbar sind.

Ein aktuelles Beispiel ist das #Deutschland25 -Projekt von google. Junge Weltverbesserer Entrepreneure (aufgewachsen nach dem Mauerfall) aus ganz Deutschland erklären ihre Visionen. Absolut keinem deutschen Medienhaus ist es gelungen, die Gefühle des Mauerfalls so gut auf die Gegenwart zu adaptieren. Der Mauerfall war Aufbruch, Freiheit, Entfaltung und vor allem Die Welt bessser machen. Google hat mit #Deutschland25 diese Emotionen wiedergeholt. Auch dank der Interaktionsmöglichkeiten und dank des crossmedialen Ansatzes des Projektes.

Ergänzung vom 10.11.2014:

Oder ein anderes Beispiel. Die beklemmendste Soundcollage zur Berliner Mauer 2014 hat sich eine Werbeagentur erdacht, und keine Radioredaktion. In diesem Fall war es die Berliner Sektion von Grey. Jedem Mauertoten ist ein Bild gewidmet, die Collage ist so lang, wie der Schall entlang der 155 Kilometer langen Mauer von Berlin gebraucht hätte (nämlich 7 Minuten und 32 Sekunden). Allein das Konzept ist großartig, die Umsetzung künstlerisch wertvoll. Aber es ist Corporate Communication, und kein Journalismus.

Deutsche Medienhäuser publizieren die O-Töne und Bilder von 1989. Manchmal ist das vielleicht ganz nett (nicht im verlinkten Fall, da ist es sogar gruselig), aber irgendwie ist es immer weit weg. Oft bleibt dabei nur das Gefühl: Mensch, 1989 hatten wir schon seltsame Klamotten an.

Wenn Corporate Communication, wenn das, was früher mal so etwas wie Werbung war sehr viel mehr Aufmerksamkeit vom Nutzer bekommt als das, was Journalisten produzieren – dann sollten wir entweder ins Corporate-Fach wechseln, oder endlich den Kampf um die Aufmerksamkeit und das Vertrauen annehmen.

Alte Medienhäuser sind darin wenig erfolgreich. Aber einzelne Journalisten und Autoren schon.

Die guten Beispiele: Journalismus in der digitalen Welt kann funktionieren

Zum Glück habe ich während der Medienkonferenzen der vergangenen Wochen auch sehr gute Beispiele gesehen. Sie kommen aber bezeichnenderweise von keinem klassischen Medienunternehmen, sondern von engagierten Journalisten oder Autoren, die ihr publizistisches Glück selbst in die Hand genommen haben.

13,1% steht für einen dieser Lichtblicke.

Der Journalist, Blogger und Moderator Richard Gutjahr hat einen Beratervertrag beim oben schon genannten Startup Laterpay. In diesem Zusammenhang hat er Teile seines Blogs hinter Laterpay  „versteckt“. Man konnte nur weiterlesen, wenn man zusagt, später einen bestimmten Betrag dafür zu zahlen (hier die genaue Analyse von Richard Gutjahr dazu).

Die Zahl 13,1% wurde bei der Präsentation auf Transforming Media genannt. So viele der Besucher von Richard Gutjahrs Blog waren bereit, auch für die Inhalte zu zahlen (die sog. Conversion Rate). Klingt wenig, ist aber eine gigantisch hohe Zahl. Um es mal einzuordnen: wenn ein typischer Onlineshop eine Conversion Rate von 3 % erreicht, wäre er schon einer der erfolgreichsten Onlinehändler weltweit. 13,1 % Conversion Rate habe ich vorher noch nie irgendwo gesehen.

Journalistische Inhalte können also richtig gut funktionieren. Und Menschen sind dann auch bereit, dafür zu zahlen. Ich vermute, bei Richard Gutjahr funktionierte das Experiment so gigantisch gut, weil er glaubwürdig ist. Die Nutzer vertrauen ihm. Er publiziert mit Leidenschaft und hat sich einen Namen in seiner Zielgruppe gemacht. Und letztlich ist diese Zielgruppe auch eher höhergebildet und technikaffin.

Aber es geht auch mit (noch) nicht studierenden. Hier kommt die Zahl 1.000 € ins Spiel.

Großbritanniens erfolgreichstes Jugendportal SB.TV - gegründet mit einem Weihnachtsgeschenk
Großbritanniens erfolgreichstes Jugendportal SB.TV – gegründet mit einem Weihnachtsgeschenk

Erzählt hat Liam Tootill diese 1.000 € Geschichte auf den Medientagen München. Er ist heute Manager des erfolgreichsten britischen digitalen Jugend- und Musikportals. Angefangen hat alles vor acht Jahren auf einem Schulhof in London. Der Gründer von SB.TV nahm damals mit seinem Weihnachtsgeschenk (die 1.000 € teure Kamera) Videos von den vielen Kids und auch von sich selbst auf, die  in der Schulpause rappen. Diese Aufnahmen landeten auf youtube.

Von dort aus sprach es sich rum. Zuerst auf den Nachbarschulhöfen. Kann der nicht auch mal zu uns kommen mit der Kamera und unsere Raps hochladen? So verbreitete sich das Phänomen über ganz London, und später auch ganz Großbritannien. Aus dem Schulhof-Rapkanal wurde im Laufe der Zeit ein Trendsetter für alle jugendtauglichen Musikstile. Ed Sheran begann seine Karriere bei SB.TV – sein Video 2010 dort machte ihn schließlich zum Weltstar:

Auch bei SB.Tv spielte meiner Meinung nach die Authentizität die entscheidende Rolle für den Erfolg. Jamal Edwards – der, der die Kamera zu Weihnachten geschenkt bekam – machte das, was seine Leidenschaft war.

Braucht man noch Medienhäuser?

Im Moment vermutlich schon, denn die meisten Medienunternehmen machen immer noch Gewinne. Und sie haben Wert für die Gesellschaft. Aber die Bilanz der guten wie der schlechten Beispiele aus den deutschen Medienkonferenzen im Herbst 2014 ist sicherlich: Journalisten und Autoren können es auch selbst in die Hand nehmen.

Nur sie selbst können sich Expertise in ihrem Bereich aufbauen, um die Glaubwürdigkeit, Aufmerksamkeit und Vertrauen kämpfen und die Formen ihrer Veröffentlichungen den sich wechselnden Bedürfnissen der Kunden anpassen. Das schafft schlussendlich auch Zahlungsbereitschaft.

So, wie es meine Journalistenausbilder schon vor 20 Jahren gesagt haben.

Medienhäuser braucht es dafür eigentlich nicht mehr. Denn Menschen zahlen nicht für bedrucktes Papier (oder die verdaddelte Zeit vor dem Fernseher oder Radio), sondern für ein Nutzungserlebnis. Und das stellen nunmal Autoren her.

Ergänzung vom 7. November 2014:

Wie bestellt hat sich der Politikwissenschaftler Thorsten Gerald Schneiders ebenfalls mit dem Vertrauensverlust des Journalismus auseinandergesetzt – und auch noch weitere Ursachen dafür identifiziert.

1 Gedanke zu „Nicht geliebt, nicht genutzt, nicht bezahlt – der Journalismus und die Zahlen“

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